Dana Manley hörte Deacans Ausführungen über eine Stunde lang zu und machte sich unendlich viele Notizen. Das Gespräch war sehr aufschlussreich, aber auch erschreckend. Wenn es die Piratenclans schaffen konnten, die Sicherheitssysteme von Hades zu umgehen, dann waren die anderen Planeten ein noch leichteres Ziel.
„Die Kreuzer hätten Alarm auslösen müssen. Wie zum Teufel haben die das gemacht?”
Manley kaute nervös auf ihrem Stift herum. Chyna hob die Schultern und schüttelte den Kopf. Deacan, der inzwischen wieder im Bett Platz genommen hatte und mit der Bettdecke seinen Körperbau verdeckte, sah zur Tür. Oder besser: durch sie hindurch. Er schien mit den Gedanken ganz woanders zu sein. Manley holte ihn jedoch zurück.
„Ser Tron, wir wissen natürlich, dass der Verlust Ihrer Maschine auch durch unsere Nachlässigkeit mitverschuldet wurde.”
Na endlich kamen auch mal gehaltvolle Aussagen...
„Und?”
Dana Manley schien die passenden Worte für ihre Antwort zu suchen, man sah ihr eine gewisse Nervosität an.
„Nun ja, wir, wie soll ich es sagen - wir werden Ihnen ihre Maschine ersetzen. Insofern das möglich ist.”
Deacans Blick heftete sich an Manleys Augen.
„Ihre Ausflüchte können Sie sich sparen. Machen Sie es möglich, klar? Oder wollen Sie, dass jeder hier im Tri-System von der Unfähigkeit der CIS erfährt? Geben Sie es zu, Sie sind nicht von der Sicherheit. Sie arbeiten garantiert für das Milizkommando hier, nicht wahr?”
„Bitte für wen?” Chyna schien die Lage nicht ganz zu verstehen.
Dana Manley hingegen tat so, als wäre sie nicht gemeint.
„Meine Karte, Ser Tron, weist mich als offizielle Mitarbeiterin der Sicherheitskräfte hier auf Hades aus. Ich bin nicht mehr als eine kleine Angestellte, die ein paar Fragen beantwortet haben möchte.”
Sie versuchte sich in einer Unschuldsmiene.
„Ach ja?”
Deacan sah ihr tief in die Augen. Sie wusste nicht genau, was er als nächstes tun würde. Plötzlich sah der Privateer zur Tür, so als ob dort jemand herein kommen würde. Manley sah instinktiv in die neue Richtung.
Und machte damit einen kleinen Fehler. Denn Deacan war schnell. Schneller als sie glaubte. Mit einer blitzschnellen Bewegung der linken Hand griff er der völlig überrumpelten Dame hinten unter ihre Jacke.
Zum Vorschein kam eine kleine, halbautomatische Blasterwaffe. Die Mündung hielt Deacan ihr unter die Nase.
„Nettes kleines Spielzeug, nicht wahr? Eine Spectre mit Zielpunktprojektor, noch dazu fabrikneu. Die werden Sie wohl kaum draußen gekauft haben. Tut mir furchtbar leid, das Ding fiel mir bereits vorhin auf, als ich Sie von der Seite sah. Die Holster des Geheimdienstes sind zwar klein, aber sie sitzen ein wenig, sagen wir mal doof am Körper. Immer, wenn der Träger eines solchen Blasters sitzt, kann man das Griffstück sehen, es zeichnet sich deutlich unter dessen Kleidung ab. Reden wir?”
Manley überlegte kurz, dann griff sie langsam nach Deacans Hand mit der Waffe, umfasste sie und drückte sie nach unten.
Da er in ihr keine Bedrohung oder gar einen Feind sah, ließ er es zu.
„Ich warte.”
Deacans Blick war stechend, Manley kam es vor, als würde er sie durchschneiden. Manley wandte ihren Blick von Deacan ab, hin zur Tür. Wie auf Kommando öffnete sich diese.
Und Manley erhob sich, entfernte sich ein paar Schritte von Deacan und nahm militärische Haltung an. Deacans und Chynas Blicke blieben an der nun offenen Tür hängen.
Dort, in diffuses Licht gehüllt, konnten beide die Umrisse eines Mannes erkennen, der jedoch zögerte, einzutreten.
Der Privateer hasste solche Auftritte.
„Warum kommen Sie nicht rein? Oder sollen wir zu Ihnen raus kommen?”
Der Mann gab keine Antwort, senkte kurz den Kopf. Er schien wohl noch zu überlegen, ob sich ein Gespräch mit seinen Gästen lohnen würde. Dann gab er sich offenbar einen Ruck, betrat den Raum.
Deacan suchte sofort Blickkontakt. Kannte er den Mann? Sein Gesicht war aschfahl, blass und starr. Man sah ihm förmlich an, dass er mit riesigen Problemen zu kämpfen hatte.
Er trug eine Uniform, seltsamerweise ohne großartiges Dekor, keine Orden, keine Einsatzspangen, keine Rangabzeichen... Seine Schritte wirkten müde, er hob seine Füße kaum vom Boden ab. Auf seine Art und Weise wirkte er älter als er vermutlich war, Deacan schätzte ihn auf Mitte Vierzig.
„Ser David Hassan, habe ich recht?”
Chyna schnipste mit den Fingern. Der Mann verzog keine Miene, er nickte nur kurz.
„Schön zu sehen, dass mich wenigstens ein paar Leute noch kennen.”
Chyna sah zu Deacan, sie wies dabei mit den Kopf auf Hassan.
„Das ist der Typ, der vor ein paar Jahren die Lorbeeren für die Vernichtung des Clans geerntet hat. Sein Bild ging damals quer durch das gesamte Tri-System.”
Auch bei Deacan machte es jetzt „Klick”.
Hassan nickte seiner Mitarbeiterin kurz zu, die daraufhin ihre starre Haltung aufgab und sich wieder auf den Stuhl setzte. Hinter Hassan kam ein weiterer Mann zum Vorschein, offenbar ein Wachmann, er brachte zwei weitere Stühle herein. Hassan bot zuerst Chyna einen Platz an, bevor er sich selber auf die Sitzfläche des zweiten Stuhls fallen ließ.
Das also war er, Retter des CCN, das Genie hoch zehn.
Deacan lächelte etwas spöttisch. Kein Preis oder Geld des gesamten Tri-Systems wäre es wert, Hassans Position einzunehmen. Er war fest davon überzeugt, das Hassan ihn um Hilfe bitten würde. Dem CIS waren ja fast alle Privateers davongelaufen, und das sogar zu Recht.
Seit dem erneuten Auftauchen des totgeglaubten Clans hatten viele ihren Glauben in die CIS verloren, und noch weniger bauten auf den Geheimdienst hier.
Hassan saß nur still da. Er ahnte, das Deacan konsequent Nein sagen würde, egal was er ihm zahlen würde. Es musste also anders gehen.
„Ser Tron, ich muss sagen, das ihr Ruf sie treffend beschreibt. Also, die Sache mit Manleys Holster, ich wäre nicht darauf gekommen. Respekt.”
Der Privateer wirkte gelangweilt.
„Sind Sie hier, um meine Fingerfertigkeit zu bewundern? Wenn ja, tut es mir leid, ich gebe keine weitere Vorstellung. Lassen sie mich gehen, zusammen mit ihr.” Er wies auf Chyna.
„Gehen, und wohin?”
Dana Manley mischte sich ein. Hassan hob kurz die Hand, er unterband damit ihren weiteren Redefluss.
„Haben sie eine Ahnung, was passiert, wenn ihr kleines Abenteuer da draußen bekannt gemacht wird?”
Hassans Blick glitt ins Leere. Deacan zögerte nicht mit der Antwort.
„Wie lange können die das schon? Seit wann existiert diese Technologie, und woher stammt sie?”
Hassan suchte kurz nach einer Antwort.
„Wir wissen es nicht, aber das war der sechste Angriff, den wir nicht verhindern konnten. Und es wird immer schlimmer. Die verwendete Technologie ist unbekannten Ursprungs und uns ist niemand bekannt, der in der Lage wäre, so etwas zu bauen. Als einzige Konsequenz blieb uns die Verdopplung unserer Milizstreifen draußen, aber das wirkt auch nicht immer.”
Hassan gab Manley ein Zeichen, sie verstand sofort, kramte in ihren Akten und holte ein Dokument hervor, dass sie Deacan übergab. Während der das Schriftstück überflog, gab Hassan einige Erklärungen dazu ab.
„Eine Auflistung aller Vorfälle, die Zeitspanne beträgt etwa drei Monate. Bei vielen dieser Angriffe vermuten wir lediglich, dass die selben Jungs dabei waren, die auch ihren Jäger vom Himmel geholt haben. Alles Spekulationen. Es gibt kaum Beweise.”
„Bis jetzt.”
Manley übergab Deacan ein weiteres Blatt Papier. Sie wies mit ihrem Zeigefinger auf einen bestimmten Abschnitt.
„Der Angriff gestern hatte auch etwas Gutes. Zum ersten Mal haben wir einen Augenzeugen, oder besser zwei. Außerdem hat ihr Flugrekorder perfekt funktioniert.”
„Und?”
„Wir werten die Daten noch aus, aber es hat den Anschein, es ob zumindest die Kiowans einen Weg gefunden haben, die Energiesignaturen ihrer Schiffe zu minimieren, sodass sie von Fernaufklärungssensoren praktisch nicht mehr aufgespürt werden können.”
Deacan sah von den Akten auf.
„Klasse. Das erklärt einiges. Das gestern waren aber Papagos, und keine Kiowanpiraten, oder?”
„Ja, schon richtig. Wir wissen aber, dass die Kiowans die Ersten waren, die solche Systeme einsetzten. Die Papagos haben es vermutlich von ihnen gekauft.”
Hassan, der die ganze Zeit über nur still zugehört hatte, griff jetzt ein.
„Und genau hier liegt der kleine Fehler.”
„Fehler?” Chyna hakte nach.
„Chyna, Kiowans und Papagos, die zusammen arbeiten, das ist so, als wenn du versuchen würdest, einem Hund ein paar Flöhe schmackhaft zu machen. Die Typen würden sich eher gegenseitig abschlachten, aber doch nie Technologie oder gar Postkarten austauschen.”
Deacan legte die Blätter aus der Hand. Hassan ergriff wieder das Wort.
„Es muss jemanden geben, der beide Seiten mit diesem Zeug versorgt. Und wir wollen, dass dieser jemand schnellstens aus dem Verkehr gezogen wird, bevor der nächste Clan versorgt ist.”
Hassans Blick wanderte zu Deacan.
„Womit ich zu Ihnen komme.”
Der Söldner sah Hassan in die Augen.
„Nein, nein, vergessen Sie das mal schnell wieder. Ich habe weder die Zeit noch die Lust hinter Piraten herzujagen, die mein Radar unterwandern können. Tut mir leid, Hassan, aber ich arbeite gerade an einem anderen Problem, das vielleicht genau so wichtig ist. Außerdem ist es von persönlicher Natur und hat damit Vorrang, alles andere muss warten. Habe ich mich klar genug ausgedrückt?”
„Nun, Ser Tron, normalerweise kann ich Sie nicht zwingen, uns zu helfen. In diesem Fall jedoch sieht die Lage etwas anders aus.”
„Sie können mich nicht zwingen, egal was sie vorhaben.”
„Ach ja? Wie sieht es zur Zeit mit ihren Jäger aus, mein Freund? Fliegen wird der garantiert nicht mehr, und vielleicht wissen sie ja, wie lange es manchmal dauern kann, ehe Ersatz da ist...”
Hassan dehnte die letzten Worte, er wollte ihnen wohl einen gewissen Nachdruck verleihen. Deacan dachte kurz nach. Hassan hatte dummerweise irgendwie recht. Ohne seinen Jäger wäre er aufgeschmissen. Aber den Lakaien für die CIS spielen, nein danke.
„Hassan, ich warne Sie. Legen Sie sich besser nicht mit mir an, Sie könnten verlieren.”
Eine recht simple Drohung, er ahnte, wie Hassan darauf reagieren würde. Und siehe da, Hassans Gesicht spiegelte ein düsteres Lächeln wieder, das einen frösteln ließ.
„Sie haben natürlich die Wahl. Für uns, oder ein paar Tage hier und etwa drei, vier Monate Bearbeitungszeit für die Wiederbeschaffung Ihrer Maschine. Also, wie sieht es aus?”
„Wir machen es, aber auf unsere Art.”
Chyna gab die Antwort für Deacan, noch ehe der etwas sagen konnte.
Sie erntete einen bösen Blick von Deacan, der gerne alleine entschieden hätte. Sicher, die Entscheidung wäre nicht anderes ausgefallen, trotzdem hätte er etwas drastischer reagiert, möglicherweise hätte er Hassan mal eben kurz die Nase verbreitert. Chyna wollte aber keinen Streit, so entschied sie kurzerhand.
Deacan winkte verärgert ab, was soll's, ändern konnte er sowieso nichts mehr. Hassan stand auf, und ging auf seine Mitarbeiterin zu.
„Sie werden natürlich mit Dana Manley zusammenarbeiten. Sie ist eine meiner besten Kräfte hier.”
Jetzt wurde Deacan richtig sauer. Er wies auf Chyna.
„Ich arbeite allein. Normalerweise. Mit ihr habe ich einen Passagier mit im Boot, ich kann keinen zweiten gebrauchen der wie ein Klotz am Bein ist.”
„Sie arbeiten mit ihr oder gar nicht. Ich diskutiere darüber nicht mit Ihnen. Sehen Sie das als Auflage von mir. Irgendwer muss Sie ja im Auge behalten, oder?”
Deacans Reaktion war eine Mischung aus bitteren Sarkasmus und Ironie.
„Chyna kann das auch allein.”
Hassan zog nur die Augenbrauen hoch. Er legte seine Hände auf Manleys Schultern.
„Ich beneide Sie nicht, um diese Aufgabe.”
Hassan suchte Augenkontakt zu seiner Mitarbeiterin.
„Viel Glück.” Er klopfte ihr auf die Schulter. Manley holte tief Luft, dann stand sie auf.
„Nun, Ser Tron, werde ich veranlassen, dass Sie ihre Bekleidung wieder bekommen. Ich warte dann draußen auf Sie.”
Deacan sah sie an. „Was wird aus meiner Maschine?”
„Eins nach dem anderen, Mister Privateer.”
Hassan war inzwischen zur Tür gegangen, er drehte sich noch einmal um und warf einen letzten Blick in den Raum. Sein Blick war voller Selbstzufriedenheit, vielleicht auch mit ein wenig Hoffnung.
Dieser Söldner hier war zwar nicht gerade sein Wunschkandidat, trotzdem schätzte er dessen Chancen sehr hoch ein. Deacan würde Hilfe brauchen, das war ihm klar. Er winkte Manley zu sich nach draußen und schloss hinter ihr die Tür.
„Manley, ich wünsche, dass Sie den beiden jede Hilfe bieten, die sie brauchen. Jede.”
Sie nickte kurz.
„Was ist mit seiner anderen Aufgabe?”
Hassan zögerte. Er kannte nicht die ganze Geschichte um die Ereignisse von Senator Angus Santana. Vielleicht gab es ja eine Verbindung. Hassan mochte Santana nicht, die Art und Weise wie er Kiowanpiraten Asyl gewährte und sich mit ihnen umgab, das war alles andere als zufriedenstellend. Noch nie zuvor hatte es jemand gewagt, einen solchen Schritt zu tun. Santana hatte behauptet, wenn man diesem Pack eine andere Umgebung bieten würde, wären sie zur friedlichen Koexistenz bereit.
Hassan traute der Sache nicht, am liebsten würde er Santana vor ein Gericht zerren und ihn der Kooperation mit Piraten anklagen, schuldig sprechen und anschließend exekutieren. Letzteres würde er sogar persönlich übernehmen. Noch war es aber nicht soweit.
„Lassen Sie ihn nur machen. Keine direkte Einmischung, klar? Erstatten Sie mir regelmäßig Bericht.”
Manley nickte erneut, Hassan legte seine Hände auf den Rücken und ging langsamen Schrittes davon.
Seine Agentin sah ihm nach. Bis zum heutigen Tag hatte Hassan noch nie persönlich Kontakt zu einen Privateer aufgenommen, mit einer Ausnahme: Lev Arris. Doch der war spurlos verschwunden, nach dem Tod von Kronos und der Vernichtung des zugehörigen Clans.
Wie auch immer, Hassan hatte Deacan Tron Hilfe angeboten und sie sollte dafür sorgen, dass er sie bekam. Sie warf noch einmal einen Blick auf Ser Trons Akte. Er schien nicht gerade begeistert zu sein, mit ihr arbeiten zu müssen. Es war wohl noch eine Menge Überzeugungsarbeit nötig, bis er sie zu schätzen lernen würde.
Immerhin - sie konnte nahezu alles organisieren. Das würde Deacan schnell merken.
Sie griff zu ihrem MACS und öffnete einen Kanal.
„Manley an Staring. Ich komme in ein paar Minuten zu Ihnen. Es geht um den Jäger für Ser Tron, ich hoffe inständig, dass er fertig ist. Manley Ende.”
Laut Anzeigedisplay hatte die Nachricht ihren Empfänger erreicht, die Bestätigung konnte sie lesen.
Ein Mitarbeiter des CIS trat an sie heran, er trug ein Bündel unter seinem Arm. Die Agentin wies auf die Tür hinter ihr.
„Sagen Sie bitte dem Mann dort drinnen, dass er sich etwas beeilen soll, ja?”
Der Mann nickte und öffnete die Tür. In ein paar Stunden würde Deacan wieder unterwegs sein, und sie würde wie sein eigener Schatten an ihm dran bleiben.