part 102
*
Auf Hades hatte inzwischen ein gewisser Gildenführer eine sehr unruhige Nacht durchlebt. Die Nachrichten, die er erhielt, waren mehr oder weniger widersprüchlich.
Einige Piloten seiner Gilde hatten von einer großen Streitmacht der CIS berichtet, die von Serca aus ins Petra-System geflogen war – allerdings blieben von dort alle Nachrichten aus. Ricards wusste weder, ob die Kiowan oder aber die CIS den Kampf gewonnen hatten... er hatte mehrfach über verschlüsselte Kanäle versucht, seine Ansprechpartner innerhalb des Kiowan-Clan oder aber einige seiner eigenen Leute zu erreichen, aber es kam einfach keine Antwort.
Einige Transportschiffe standen bereit, um direkt ins umkämpfte System zu fliegen, aber ohne Genehmigung des Senats wollte Ricards nicht agieren, soviel hatte er wohl verstanden. Und eine Reaktion vom Senat selbst ließ noch immer auf sich warten. Ricards saß gewissermaßen wie auf heißen Kohlen...
Hinzu kam ein Bericht, der von einem Piloten seiner Gilde stammte. Dieser war im Anhur-System unterwegs gewesen und hatte ein größeres Schiff mit seinen Langstreckensensoren erfassen können, das er aber nicht identifizieren konnte. Von den Abmessungen her könnte es ein kleiner Zerstörer sein, aber in den Datenbanken seiner Maschine fand der Pilot kein Äquivalent hierzu.
Und eben diese Nachricht sorgte für große Unruhe bei Ricards.
Der Gildenführer wusste, dass es nur zwei Organisationen im gesamten Tri-System gab, die ein solches, völlig neues Schiff bauen konnten, ohne dass die Öffentlichkeit davon sofort Wind bekam.
Zum einen war das die CIS... aber das Militär hatte erst vor zwei Jahren einen neuen Schlachtschifftypen in den Dienst gestellt. Zudem: die CIS testete ihre Schiffe nicht in der Nähe von Anhur, sondern hier im Hades-System.
Die andere Organisation war der Clan... jene geheimnisvolle Unterweltgruppierung, die schon mehrfach für Ärger innerhalb der Gilde von Ricards gesorgt hatte, zumeist einfach gesagt nur durch verlorene Gefechte und den Verlust von Piloten.
Ja, der Clan...
Ricards hatte zumindest Respekt vor dieser einen Gruppierung des Tri-Systems. Alle anderen hatte er bereits korrumpieren können, nur an den Clan war er niemals heran gekommen. Laut allgemein bekannten Informationen leitete derzeit ein Mann namens Arris den Clan, es hieß zudem, dass Arris selbst einmal nur ein einfacher Privateer gewesen sein sollte.
Ricards hatte mehrfach versucht, relevantes Material über diesen ominösen Ser Arris zu sammeln, aber er stieß immer wieder auf Granit. Keiner kannte Ser Arris oder besser gesagt, keiner wollte ihn kennen, keiner wusste wo, er geboren worden war oder ob er überhaupt existierte...
Arris war wie ein Phantom. Eines war sicher: jemand von ganz oben hatte dafür gesorgt, dass sämtliche Unterlagen über den Privateer und Clanchef verschwinden konnten. Nur... wer?
Ursprünglich hatte Ricards sogar gehofft, dass sein Verbündeter im Senat seine Neugierde befriedigen würde, aber selbst das war ein Fehlschlag auf der ganzen Linie. Was also blieb war nur ein Name und wilde Spekulationen.
Ricards sah von seinem Schreibtisch auf, sein Blick fiel auf den jungen Privateer, der ein paar Schritte entfernt in einem Sessel saß und seinen Blaster zu Testzwecken demontiert hatte. Offenbar schob Ricards Zögling Langeweile vor sich her...
»Sagen Sie, junger Freund...«
Die Stimme des Gildenführers klang monoton durch den Raum. »...unsere Piloten da draußen, wie viele könnten wir innerhalb von drei oder vier Stunden mobilisieren?«
Der Söldner sah nicht einmal von seiner Beschäftigung auf, während er antwortete.
»Schätzungsweise Fünfzig, vielleicht auch mehr. Warum fragen Sie?«
Ricards überlegte.
»Mein junger Freund, ich werde das Gefühl nicht los, dass uns hier einiges aus dem Ruder läuft. Vor allem aber beunruhigt mich dieses Schiff hier... noch dazu in so unmittelbarer Nähe unseres Verbündeten. Falls er das überhaupt noch ist.« Der Söldner hatte seine Inspektion des Blaster wohl abgeschlossen, geräuschvoll baute er die Waffe wieder zusammen.
»Ich kann ja mal einen Blick auf Ihr Schiff werfen, direkt vor Ort. Wenn Sie das möchten.«
»Nicht im Alleingang. Aber machen Sie bitte einen Flug für mich bereit, ja?«
»Natürlich, Ser Ricards. Und das Reiseziel?«
Ricards Blick wanderte vom Söldner wieder auf ein Pad, das vor ihm auf dem Schreibtisch lag. Auf dem Display waren schemenhaft die Umrisse des unbekannten Schiffe erkennbar.
„Anhur.“
*
Teannas zierliche Hand umklammerte den Steuerknüppel regelrecht, ihr Zeigefinger drückte auf den Auslöser für ihre Bordgeschütze – aber nichts passierte. Erst jetzt fiel ihr wieder ein, dass ohne aktives Triebwerk auch keinerlei Energie für ihre Bordwaffen zur Verfügung stand.
Die Skecis stand kurz vorm endgültigen Abriss der Luftströmung, die kleinen Tragflächen würden in wenigen Sekunden keinerlei Auftrieb mehr liefern. Blieben nur noch die Raketen... Teanna wusste, dass sie diese zwar ausklinken und automatisch zünden, aber keinerlei Zielaufschaltung bekommen würde – ohne Energie funktionierten nur noch die Notsysteme.
Erneut zog sie das Steuer näher zu sich heran, erneut zwang sie ihren Jäger, die Rumpfnase nach oben zu ziehen.
Eine ihrer Raketen schoss nach vorne, verfehlte aber den Gegner nur um wenige Meter. Also noch einmal... wieder ging ein Ruck durch den kleinen Jäger, wieder konnte Teanna anhand der Rauchschwaden den Weg der Rakete verfolgen. Treffer!
Das Geschoss durchschlug eine der großen Tragflächen der Heretic und explodierte sofort. Trümmerteile durchschlugen den Rumpf der Heretic, eines der Triebwerke begann zu stottern, der Gegner verlor sichtlich an Höhe und auch an Schub. Teanna hätte am liebsten einen lauten Freudenschrei von sich gegeben, aber genau in diesen Moment spürte sie deutlich, dass sich ihre Maschine endgültig von der halbwegs stabilen Fluglage verabschiedete.
Jetzt gab es nur noch eine Richtung.
Es ging abwärts...
Teanna klammerte sich am Steuer fest, sie konnte nur hoffen, dass der Aufschlag auf den Boden nicht allzu hart werden würde. Ihr Bordrechner heulte auf.
»Warnung! Freier Fall! Höhe fünfzig Meter... Warnung! Freier Fall! Höhe vierzig Meter...
Die Pilotin suchte nach einem Ausweg. Sie hatte inzwischen den Raumhafen verlassen, unter ihrer Maschine lag freies Feld, die Gegend selbst war offenbar völlig menschenleer. »Warnung! Freier Fall! Höhe zwanzig Meter...« Die junge Söldnerin schloss ihre Augen, dann legte sie ihre Hand auf den Gashebel und schob diesen einfach nach vorne...
Die Zündung der beiden Triebwerke lieferte kurz einen enormen Schub, Teanna leitete diesen Schub nach unten, sie wollte den Fall abbremsen... nur eine Sekunde später schlug ihre Maschine hart auf. Das Metall des Rumpfes begann regelrecht zu kreischen, es verbog sich, verformte sich, brach an mehreren Stellen einfach ab.
Eine Feuerfontäne jagte um den gesamten Rumpf, die kurze Zündung hatte auch den auslaufenden Treibstoff erfasst, Teanna glaubte in der aufsteigenden Hitze zu ersticken, sie sah die Flammen vor sich hochschlagen. Doch das Feuer verlosch nur Augenblicke später wieder und die Söldnerin versuchte verzweifelt, die Cockpitverglasung zu öffnen.
Doch sie hatte keine Chance...
Wie lange würde es wohl dauern, bis ihr kleiner Jäger doch noch explodieren würde?
Genügend Treibstoff hatte sie ja an Bord... Für die Pilotin vergingen einige schier endlose Sekunden, dann hörte sie, wie jemand kraftvoll gegen das Cockpit schlug. Einmal, dann wieder.
Die Verriegelungen brachen ab, und jemand zog Teanna aus ihrem Sitz. Benommen versuchte sich die Söldnerin ein Bild davon zu machen, wer sie da gerettet hatte. Eine riesige Hand strich ihr sanft übers Gesicht, und eine vertraute Stimme erreichte ihr Ohr.
»Ruhig, ganz ruhig, Sera Tasker. Sie sind in Sicherheit.«
»Danke Ser Gutenhal. Danke...«
Das letzte Wort brachte Teanna nur noch halb heraus, einige Tränen schien es zu ersticken. Gutenhal griff zum MACS, er scannte Teanna, suchte nach Verletzungen. Als er nichts fand, das nicht mit Hilfe einer einfachen Mullbinde gerichtet werden konnte, atmete er hörbar auf. Teanna hatte nur einige Schürfwunden an ihren Händen, sie stammten vom Steuer, das sie die ganze Zeit fest umklammert hatte...
»Sera Tasker? Die Heretic ist notgelandet, etwa acht Kilometer von hier entfernt. Wenn Sie aufstehen können und vorausgesetzt, Sie wollen das hier immer noch beenden, dann können wir dorthin aufbrechen. Und zwar sofort.«
Teanna nickte, sie rappelte sich auf, gestützt von Gutenhal’s riesigen Händen. Sie sah sich um, etwas fehlte hier... nein, jemand fehlte!
»Ivy... Ivy, wo ist sie?«
»Sera Banks ist okay, sie holt Hilfe. Ihr Jäger konnte nur nicht starten, einige Trümmer lagen ihr im Weg.«
Teanna rieb sich die Augen, sie wollte wieder klar sehen können.
»Und Sie? Wie sind Sie überhaupt in die Luft gekommen?«
Gutenhal lächelte.
»Senkrecht. Und durch das geschlossene Hangardach, ich verdränge gerade den Gedanken an die Schadenersatzforderungen, die da demnächst kommen werden.«
Senkrechtstart also... Teannas kleiner Jäger verfügte nicht über diese Möglichkeit, einige Meter Anlaufstrecke waren zumeist die Voraussetzung, um die Dark Spirit sicher in die Luft zu bekommen...
»Haben Sie einen Blaster?«
Gutenhal nickte kurz.
»Dann steht es also fest?«
»Ja. Krallen wir uns diesen Typen... der schuldet mir einen neuen Jäger.«
*
»Na, darf ich den Helden stören?«
Die Wärme in der Stimme wirkte wie Balsam auf die Seele des besagten Helden, der sich wieder zusammen mit Ser Arris über Datenpads her machte.
»Warum nur sieht jeder in meiner Person einen Wundertäter?«
Deacan sah lächelnd auf Venice, die ihrerseits die kleine Geste erwiderte.
»Unsere Kampfstärke ist jetzt um schätzungsweise das vierfache angestiegen, vorausgesetzt, die Jungs da draußen haben ihre Schiffe nicht nur als Dekoration mitgebracht. Gibt es hier etwas neues?«
Während Arris den Kopf schüttelte, tat Deacan genau das Gegenteil, er nickte und wies Venice an näher zu kommen.
»Kleines, flieg bitte diese Koordinaten an und sieh dich dort um.«
Venice sah auf das Pad, das ihr Partner ihr entgegen hielt.
»Und was genau soll ich da finden? Oder anders gefragt, wer wartet da auf meine Ankunft?«
»Das ist eine gute Frage. Ich weiß es nicht genau... es ist nur eine fixe Idee, der ich allerdings nachkommen möchte. Also – wenn du nichts besseres vorhast und mir einen kleinen Gefallen tun möchtest...«
Die Söldnerin griff sich das Pad, dann machte sie auf ihren Absätzen kehrt und verließ den Raum. Ser Arris sah ihr verständnislos hinterher, dann wandte er sich seinem Gast zu.
»Eine fixe Idee? Darf ich eventuell erfahren, was genau in Ihrem Kopf vorgeht, mein Freund?«
Deacan lächelte, dann gab er Antwort.
»Die Nachricht an Dawson, die wir abgefangen hatten... diese Nachricht hat mich auf eine Idee gebracht. Wie sagten Sie es doch? Frequenzen gleich Buchstaben... oder eben Zahlen. Und diese Zahlen könnten auch Koordinaten sein. Wir werden ja sehen, ob nur Ihre Jungs da etwas entschlüsseln konnten, oder ob auch ich mich als Experte in Sachen Decodierung in Zukunft selbstständig machen kann.«
»Ser Tron, Sie und ich, wir wissen doch beide, dass Sie niemals ihren Beruf wechseln würden, oder?«
»Punkt für Sie.«
Deacan legte ein weiteres Pad beiseite. »Das ist, als würde man die Nadel im Heuhaufen suchen... Ihr Vorgänger hat seine Aktivitäten mehr als nur gut getarnt.«
Auf Arris Stirn erschienen ein paar Sorgenfalten.
»Ich werte das mal als Kompliment, auch wenn ich eigentlich nicht tun sollte.
Ja, Kronos war sehr fleißig, in den gut fünfundzwanzig Jahren seiner aktiven Zeit hat es niemand jemals geschafft, einen genaueren oder gar vollständigen Blick auf seine Person zu werfen. Selbst ich kenne keine Einzelheiten. Nur, dass er mein Bruder war und das einige Gegner seiner Politik mich vor seinem Zugriff versteckten... wussten Sie, dass ich fast zehn Jahre quasi auf Eis lag?«
Deacan sah auf.
»Nein, das wusste ich nicht. Darf man fragen, warum?«
»Nun, Kronos dachte ursprünglich, dass ich tot sei. Dieser Mistkerl hat seine gesamte Familie ausgelöscht, nur damit keiner seine Macht in Frage stellen würde. Allerdings gelang sein Vorhaben nur teilweise, er infizierte mich mit einem Virus, der mein Immunsystem zerstören sollte.
Ein paar Freunde jedoch froren mich ein und so überdauerte ich einige Zeit, bis auf Crius ein Heilmittel gefunden wurde. Die Rückkehr ins Leben verlief dann zwar nicht unbedingt so wie ursprünglich geplant, aber letztlich sehen Sie ja wo ich jetzt bin.«
»Und? Fühlen Sie sich wohl dabei?«
Arris verzog das Gesicht.
»Wenn ich wüsste, dass ich alles ungeschehen machen könnte, was Kronos angerichtet hat – dann ja. Aber wie gesagt, ich habe nur sehr begrenzt Einblick in seine Geschäfte bekommen.«
Das Geräusche seines MACS ließ Arris von seiner Arbeit aufsehen. Er aktivierte das Gerät, jemand hatte ihm eine Nachricht geschickt. Und es schien eine positive Nachricht zu sein... »Ser Hassan ist auf den Weg hierher. Wie es scheint, hat die CIS die Lage auf Petra wieder unter Kontrolle.«
»Oder aber er ist auf der Flucht...«
Arris schüttelte energisch den Kopf.
»Nein, laut diesem Bericht ist sein Schiff und die Eskorte völlig intakt. Wäre auf Petra etwas schief gelaufen, dann wäre Hassan der Letzte, der das System verlassen würde. Falls er das überhaupt tun würde. Soviel steht fest.«
Deacan sah auf den immer noch riesig wirkenden Haufen Pads, der einfach nicht kleiner werden wollte. Auf diese Weise kam er nicht vorwärts... es musste einen anderen Weg geben. Venice war jetzt sein Hoffnungsträger. Sie und das, was sie eventuell von ihrem kleinen Trip ins All mitbringen würde. Es musste einfach funktionieren, er durfte sich jetzt nicht irren...
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Auf Hades hatte inzwischen ein gewisser Gildenführer eine sehr unruhige Nacht durchlebt. Die Nachrichten, die er erhielt, waren mehr oder weniger widersprüchlich.
Einige Piloten seiner Gilde hatten von einer großen Streitmacht der CIS berichtet, die von Serca aus ins Petra-System geflogen war – allerdings blieben von dort alle Nachrichten aus. Ricards wusste weder, ob die Kiowan oder aber die CIS den Kampf gewonnen hatten... er hatte mehrfach über verschlüsselte Kanäle versucht, seine Ansprechpartner innerhalb des Kiowan-Clan oder aber einige seiner eigenen Leute zu erreichen, aber es kam einfach keine Antwort.
Einige Transportschiffe standen bereit, um direkt ins umkämpfte System zu fliegen, aber ohne Genehmigung des Senats wollte Ricards nicht agieren, soviel hatte er wohl verstanden. Und eine Reaktion vom Senat selbst ließ noch immer auf sich warten. Ricards saß gewissermaßen wie auf heißen Kohlen...
Hinzu kam ein Bericht, der von einem Piloten seiner Gilde stammte. Dieser war im Anhur-System unterwegs gewesen und hatte ein größeres Schiff mit seinen Langstreckensensoren erfassen können, das er aber nicht identifizieren konnte. Von den Abmessungen her könnte es ein kleiner Zerstörer sein, aber in den Datenbanken seiner Maschine fand der Pilot kein Äquivalent hierzu.
Und eben diese Nachricht sorgte für große Unruhe bei Ricards.
Der Gildenführer wusste, dass es nur zwei Organisationen im gesamten Tri-System gab, die ein solches, völlig neues Schiff bauen konnten, ohne dass die Öffentlichkeit davon sofort Wind bekam.
Zum einen war das die CIS... aber das Militär hatte erst vor zwei Jahren einen neuen Schlachtschifftypen in den Dienst gestellt. Zudem: die CIS testete ihre Schiffe nicht in der Nähe von Anhur, sondern hier im Hades-System.
Die andere Organisation war der Clan... jene geheimnisvolle Unterweltgruppierung, die schon mehrfach für Ärger innerhalb der Gilde von Ricards gesorgt hatte, zumeist einfach gesagt nur durch verlorene Gefechte und den Verlust von Piloten.
Ja, der Clan...
Ricards hatte zumindest Respekt vor dieser einen Gruppierung des Tri-Systems. Alle anderen hatte er bereits korrumpieren können, nur an den Clan war er niemals heran gekommen. Laut allgemein bekannten Informationen leitete derzeit ein Mann namens Arris den Clan, es hieß zudem, dass Arris selbst einmal nur ein einfacher Privateer gewesen sein sollte.
Ricards hatte mehrfach versucht, relevantes Material über diesen ominösen Ser Arris zu sammeln, aber er stieß immer wieder auf Granit. Keiner kannte Ser Arris oder besser gesagt, keiner wollte ihn kennen, keiner wusste wo, er geboren worden war oder ob er überhaupt existierte...
Arris war wie ein Phantom. Eines war sicher: jemand von ganz oben hatte dafür gesorgt, dass sämtliche Unterlagen über den Privateer und Clanchef verschwinden konnten. Nur... wer?
Ursprünglich hatte Ricards sogar gehofft, dass sein Verbündeter im Senat seine Neugierde befriedigen würde, aber selbst das war ein Fehlschlag auf der ganzen Linie. Was also blieb war nur ein Name und wilde Spekulationen.
Ricards sah von seinem Schreibtisch auf, sein Blick fiel auf den jungen Privateer, der ein paar Schritte entfernt in einem Sessel saß und seinen Blaster zu Testzwecken demontiert hatte. Offenbar schob Ricards Zögling Langeweile vor sich her...
»Sagen Sie, junger Freund...«
Die Stimme des Gildenführers klang monoton durch den Raum. »...unsere Piloten da draußen, wie viele könnten wir innerhalb von drei oder vier Stunden mobilisieren?«
Der Söldner sah nicht einmal von seiner Beschäftigung auf, während er antwortete.
»Schätzungsweise Fünfzig, vielleicht auch mehr. Warum fragen Sie?«
Ricards überlegte.
»Mein junger Freund, ich werde das Gefühl nicht los, dass uns hier einiges aus dem Ruder läuft. Vor allem aber beunruhigt mich dieses Schiff hier... noch dazu in so unmittelbarer Nähe unseres Verbündeten. Falls er das überhaupt noch ist.« Der Söldner hatte seine Inspektion des Blaster wohl abgeschlossen, geräuschvoll baute er die Waffe wieder zusammen.
»Ich kann ja mal einen Blick auf Ihr Schiff werfen, direkt vor Ort. Wenn Sie das möchten.«
»Nicht im Alleingang. Aber machen Sie bitte einen Flug für mich bereit, ja?«
»Natürlich, Ser Ricards. Und das Reiseziel?«
Ricards Blick wanderte vom Söldner wieder auf ein Pad, das vor ihm auf dem Schreibtisch lag. Auf dem Display waren schemenhaft die Umrisse des unbekannten Schiffe erkennbar.
„Anhur.“
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Teannas zierliche Hand umklammerte den Steuerknüppel regelrecht, ihr Zeigefinger drückte auf den Auslöser für ihre Bordgeschütze – aber nichts passierte. Erst jetzt fiel ihr wieder ein, dass ohne aktives Triebwerk auch keinerlei Energie für ihre Bordwaffen zur Verfügung stand.
Die Skecis stand kurz vorm endgültigen Abriss der Luftströmung, die kleinen Tragflächen würden in wenigen Sekunden keinerlei Auftrieb mehr liefern. Blieben nur noch die Raketen... Teanna wusste, dass sie diese zwar ausklinken und automatisch zünden, aber keinerlei Zielaufschaltung bekommen würde – ohne Energie funktionierten nur noch die Notsysteme.
Erneut zog sie das Steuer näher zu sich heran, erneut zwang sie ihren Jäger, die Rumpfnase nach oben zu ziehen.
Eine ihrer Raketen schoss nach vorne, verfehlte aber den Gegner nur um wenige Meter. Also noch einmal... wieder ging ein Ruck durch den kleinen Jäger, wieder konnte Teanna anhand der Rauchschwaden den Weg der Rakete verfolgen. Treffer!
Das Geschoss durchschlug eine der großen Tragflächen der Heretic und explodierte sofort. Trümmerteile durchschlugen den Rumpf der Heretic, eines der Triebwerke begann zu stottern, der Gegner verlor sichtlich an Höhe und auch an Schub. Teanna hätte am liebsten einen lauten Freudenschrei von sich gegeben, aber genau in diesen Moment spürte sie deutlich, dass sich ihre Maschine endgültig von der halbwegs stabilen Fluglage verabschiedete.
Jetzt gab es nur noch eine Richtung.
Es ging abwärts...
Teanna klammerte sich am Steuer fest, sie konnte nur hoffen, dass der Aufschlag auf den Boden nicht allzu hart werden würde. Ihr Bordrechner heulte auf.
»Warnung! Freier Fall! Höhe fünfzig Meter... Warnung! Freier Fall! Höhe vierzig Meter...
Die Pilotin suchte nach einem Ausweg. Sie hatte inzwischen den Raumhafen verlassen, unter ihrer Maschine lag freies Feld, die Gegend selbst war offenbar völlig menschenleer. »Warnung! Freier Fall! Höhe zwanzig Meter...« Die junge Söldnerin schloss ihre Augen, dann legte sie ihre Hand auf den Gashebel und schob diesen einfach nach vorne...
Die Zündung der beiden Triebwerke lieferte kurz einen enormen Schub, Teanna leitete diesen Schub nach unten, sie wollte den Fall abbremsen... nur eine Sekunde später schlug ihre Maschine hart auf. Das Metall des Rumpfes begann regelrecht zu kreischen, es verbog sich, verformte sich, brach an mehreren Stellen einfach ab.
Eine Feuerfontäne jagte um den gesamten Rumpf, die kurze Zündung hatte auch den auslaufenden Treibstoff erfasst, Teanna glaubte in der aufsteigenden Hitze zu ersticken, sie sah die Flammen vor sich hochschlagen. Doch das Feuer verlosch nur Augenblicke später wieder und die Söldnerin versuchte verzweifelt, die Cockpitverglasung zu öffnen.
Doch sie hatte keine Chance...
Wie lange würde es wohl dauern, bis ihr kleiner Jäger doch noch explodieren würde?
Genügend Treibstoff hatte sie ja an Bord... Für die Pilotin vergingen einige schier endlose Sekunden, dann hörte sie, wie jemand kraftvoll gegen das Cockpit schlug. Einmal, dann wieder.
Die Verriegelungen brachen ab, und jemand zog Teanna aus ihrem Sitz. Benommen versuchte sich die Söldnerin ein Bild davon zu machen, wer sie da gerettet hatte. Eine riesige Hand strich ihr sanft übers Gesicht, und eine vertraute Stimme erreichte ihr Ohr.
»Ruhig, ganz ruhig, Sera Tasker. Sie sind in Sicherheit.«
»Danke Ser Gutenhal. Danke...«
Das letzte Wort brachte Teanna nur noch halb heraus, einige Tränen schien es zu ersticken. Gutenhal griff zum MACS, er scannte Teanna, suchte nach Verletzungen. Als er nichts fand, das nicht mit Hilfe einer einfachen Mullbinde gerichtet werden konnte, atmete er hörbar auf. Teanna hatte nur einige Schürfwunden an ihren Händen, sie stammten vom Steuer, das sie die ganze Zeit fest umklammert hatte...
»Sera Tasker? Die Heretic ist notgelandet, etwa acht Kilometer von hier entfernt. Wenn Sie aufstehen können und vorausgesetzt, Sie wollen das hier immer noch beenden, dann können wir dorthin aufbrechen. Und zwar sofort.«
Teanna nickte, sie rappelte sich auf, gestützt von Gutenhal’s riesigen Händen. Sie sah sich um, etwas fehlte hier... nein, jemand fehlte!
»Ivy... Ivy, wo ist sie?«
»Sera Banks ist okay, sie holt Hilfe. Ihr Jäger konnte nur nicht starten, einige Trümmer lagen ihr im Weg.«
Teanna rieb sich die Augen, sie wollte wieder klar sehen können.
»Und Sie? Wie sind Sie überhaupt in die Luft gekommen?«
Gutenhal lächelte.
»Senkrecht. Und durch das geschlossene Hangardach, ich verdränge gerade den Gedanken an die Schadenersatzforderungen, die da demnächst kommen werden.«
Senkrechtstart also... Teannas kleiner Jäger verfügte nicht über diese Möglichkeit, einige Meter Anlaufstrecke waren zumeist die Voraussetzung, um die Dark Spirit sicher in die Luft zu bekommen...
»Haben Sie einen Blaster?«
Gutenhal nickte kurz.
»Dann steht es also fest?«
»Ja. Krallen wir uns diesen Typen... der schuldet mir einen neuen Jäger.«
*
»Na, darf ich den Helden stören?«
Die Wärme in der Stimme wirkte wie Balsam auf die Seele des besagten Helden, der sich wieder zusammen mit Ser Arris über Datenpads her machte.
»Warum nur sieht jeder in meiner Person einen Wundertäter?«
Deacan sah lächelnd auf Venice, die ihrerseits die kleine Geste erwiderte.
»Unsere Kampfstärke ist jetzt um schätzungsweise das vierfache angestiegen, vorausgesetzt, die Jungs da draußen haben ihre Schiffe nicht nur als Dekoration mitgebracht. Gibt es hier etwas neues?«
Während Arris den Kopf schüttelte, tat Deacan genau das Gegenteil, er nickte und wies Venice an näher zu kommen.
»Kleines, flieg bitte diese Koordinaten an und sieh dich dort um.«
Venice sah auf das Pad, das ihr Partner ihr entgegen hielt.
»Und was genau soll ich da finden? Oder anders gefragt, wer wartet da auf meine Ankunft?«
»Das ist eine gute Frage. Ich weiß es nicht genau... es ist nur eine fixe Idee, der ich allerdings nachkommen möchte. Also – wenn du nichts besseres vorhast und mir einen kleinen Gefallen tun möchtest...«
Die Söldnerin griff sich das Pad, dann machte sie auf ihren Absätzen kehrt und verließ den Raum. Ser Arris sah ihr verständnislos hinterher, dann wandte er sich seinem Gast zu.
»Eine fixe Idee? Darf ich eventuell erfahren, was genau in Ihrem Kopf vorgeht, mein Freund?«
Deacan lächelte, dann gab er Antwort.
»Die Nachricht an Dawson, die wir abgefangen hatten... diese Nachricht hat mich auf eine Idee gebracht. Wie sagten Sie es doch? Frequenzen gleich Buchstaben... oder eben Zahlen. Und diese Zahlen könnten auch Koordinaten sein. Wir werden ja sehen, ob nur Ihre Jungs da etwas entschlüsseln konnten, oder ob auch ich mich als Experte in Sachen Decodierung in Zukunft selbstständig machen kann.«
»Ser Tron, Sie und ich, wir wissen doch beide, dass Sie niemals ihren Beruf wechseln würden, oder?«
»Punkt für Sie.«
Deacan legte ein weiteres Pad beiseite. »Das ist, als würde man die Nadel im Heuhaufen suchen... Ihr Vorgänger hat seine Aktivitäten mehr als nur gut getarnt.«
Auf Arris Stirn erschienen ein paar Sorgenfalten.
»Ich werte das mal als Kompliment, auch wenn ich eigentlich nicht tun sollte.
Ja, Kronos war sehr fleißig, in den gut fünfundzwanzig Jahren seiner aktiven Zeit hat es niemand jemals geschafft, einen genaueren oder gar vollständigen Blick auf seine Person zu werfen. Selbst ich kenne keine Einzelheiten. Nur, dass er mein Bruder war und das einige Gegner seiner Politik mich vor seinem Zugriff versteckten... wussten Sie, dass ich fast zehn Jahre quasi auf Eis lag?«
Deacan sah auf.
»Nein, das wusste ich nicht. Darf man fragen, warum?«
»Nun, Kronos dachte ursprünglich, dass ich tot sei. Dieser Mistkerl hat seine gesamte Familie ausgelöscht, nur damit keiner seine Macht in Frage stellen würde. Allerdings gelang sein Vorhaben nur teilweise, er infizierte mich mit einem Virus, der mein Immunsystem zerstören sollte.
Ein paar Freunde jedoch froren mich ein und so überdauerte ich einige Zeit, bis auf Crius ein Heilmittel gefunden wurde. Die Rückkehr ins Leben verlief dann zwar nicht unbedingt so wie ursprünglich geplant, aber letztlich sehen Sie ja wo ich jetzt bin.«
»Und? Fühlen Sie sich wohl dabei?«
Arris verzog das Gesicht.
»Wenn ich wüsste, dass ich alles ungeschehen machen könnte, was Kronos angerichtet hat – dann ja. Aber wie gesagt, ich habe nur sehr begrenzt Einblick in seine Geschäfte bekommen.«
Das Geräusche seines MACS ließ Arris von seiner Arbeit aufsehen. Er aktivierte das Gerät, jemand hatte ihm eine Nachricht geschickt. Und es schien eine positive Nachricht zu sein... »Ser Hassan ist auf den Weg hierher. Wie es scheint, hat die CIS die Lage auf Petra wieder unter Kontrolle.«
»Oder aber er ist auf der Flucht...«
Arris schüttelte energisch den Kopf.
»Nein, laut diesem Bericht ist sein Schiff und die Eskorte völlig intakt. Wäre auf Petra etwas schief gelaufen, dann wäre Hassan der Letzte, der das System verlassen würde. Falls er das überhaupt tun würde. Soviel steht fest.«
Deacan sah auf den immer noch riesig wirkenden Haufen Pads, der einfach nicht kleiner werden wollte. Auf diese Weise kam er nicht vorwärts... es musste einen anderen Weg geben. Venice war jetzt sein Hoffnungsträger. Sie und das, was sie eventuell von ihrem kleinen Trip ins All mitbringen würde. Es musste einfach funktionieren, er durfte sich jetzt nicht irren...