Story: "Das Erwachen II - Stille"

Deacan

Commodore
part 1

*

Es war eine wunderschöne und sternenklare Nacht – fast so, wie man sie aus unzähligen Werbeanzeigen her kannte. Die Luft war angenehm warm und es roch nach den süßen und wahrscheinlich zum Großteil auch schon überreifen Früchten einiger Obstbäume, die irgendjemand vor unzähligen Jahren hier angepflanzt hatte.
Der Klang von hohen Absätzen auf dem Mosaiksteinboden durchschnitt die Stille, gepaart mit leisem Stimmengewirr. Zwei recht junge, attraktive Damen schienen die späte Stunde wohl noch zu nutzen... Und sie schienen dies regelmäßig zu tun, denn Müdigkeit war ihnen überhaupt nicht anzusehen.
»Oh je, Augen links. Und ab durch die Mitte.«
Die Blonde wies mit einem kurzen Kopfnicken in Richtung zweier Herren in Uniform, offenbar eine der vielen Milizstreifen hier auf Anhur. Dummerweise schwenkten die beiden Herren auch schon direkt in die Richtung des weiblichen Duos, man schien sich wohl irgendwie zu kennen.
»Die ID-Card!«
Die Blonde zog einen Schmollmund, holte aber auch umgehend ihre Card aus der Manteltasche hervor. Ihre Freundin tat es ihr gleich, nur zeigte sich auf ihren Lippen ein Lächeln, das leicht spöttisch wirkte. Der Milizionär zog die Stirn ein wenig in Falten, dann räusperte er sich und bemühte sich um einen freundlichen Tonfall. »Na schön. Das ist jetzt das zweite Mal in dieser Woche und die hat eigentlich erst angefangen. Ich sagte doch klar und deutlich, dass ich euch hier nicht mehr sehen will – macht das im Geschäftsviertel, aber nicht hier.«
»Ja, klar doch. Kommt nicht wieder vor.«
Diese Worte aus dem Mund der Blonden hatten einen eigenartigen Klang, es klang nicht nach einem ernsthaften Versprechen, eher wie eine nette zynische Randbemerkung. Alternativ hätte sie auch ein fröhliches du kannst mich mal vom Stapel lassen können, es hätte wohl ganz ähnlich auf den Zuhörer gewirkt.
Der Uniformierte war sichtlich bemüht, nicht die Fassung zu verlieren, er überhörte die nette Phrase ganz einfach.
»Letzte Warnung!«
Er gab die ID-Cards an ihre Besitzer zurück und macht dann auf dem Absatz kehrt. Streit wollte er nicht haben, vielmehr hoffte er wohl innerlich, dass die Zeit bis zum Dienstschluss möglichst schnell vergehen würde.
Glück gehabt, man hörte die beiden weiblichen Nachtschwärmer deutlich aufatmen.
»Jenna... Ich weiß nicht, ob ich dir das schon einmal so gesagt habe, aber ich mag nicht ständig von diesen Leuten da auf die Füße getreten werden. Also frage ich dich mal ganz nett und freundlich was dagegen spricht, den Worten der Herren mit den Dienstmarken einfach mal Folge zu leisten.«
Jenna warf einen ärgerlichen Blick auf ihre Freundin.
»Geld? Credits? Schon vergessen? Hier ist das große Geld zu machen. Im Geschäftsviertel allerdings nicht.«
Ah ja... Credits. In den vergangenen fünf Monaten seit ihrer Ankunft hier auf Anhur hatte sich fast alles nur um dieses eine Thema gedreht.
Dabei gab es einiges anderes, was von Bedeutung war. Anhur war zum Dreh- und Angelpunkt für einige wichtige Ereignisse im Tri-System geworden, angefangen von einer größeren Schlacht im Orbit des Planeten über die spektakuläre Festnahme eines Senators namens Ser Angus Santana bis hin zu kompletten Neuwahlen.
Jemand hatte das ganze System quasi auf den Kopf gestellt – aber Jenna und ihre Freundin Monica erlebten all diese Veränderung nur am Rande mit. Es war nicht wirklich wichtig für die beiden – ihre nächtlichen Streifzüge quer durch das Regierungsviertel aber schon. Obwohl sie sich ursprünglich einmal vorgenommen hatten, ihre eher unrühmliche Karriere als „Bordsteinschwalben“ an den sprichwörtlichen Nagel zu hängen, verfielen sie viel zu schnell wieder in alte Gepflogenheiten. Das hier war leichtes und schnelles Geld, zudem waren die Kunden hier auf Anhur regelrecht gepflegt und besaßen zum Großteil sogar Manieren. Auf Hermes, ihrem alten Aufenthaltsort, war davon fast nichts zu sehen oder gar zu spüren gewesen.
Klar – es gab Ausnahmen, einer verdankten sie auch ihr Ticket hierher, aber diese Ausnahmen bestätigten halt nur die Regel.
Um weiterem Ärger aus dem Weg zu gehen und vermutlich um keine Nörgeleien von Monica hören zu müssen, gab Jenna für den Augenblick schließlich nach. Das Geschäftsviertel von Anhur war riesig, es gab etliche gute und sehr teure Bars und unzählige Büros für nahezu jede Art von Dienstleistung. Aber leider so gut wie keine Herrschaften aus der Politik. Und genau letztere waren eigentlich das bevorzugte Ziel von Jenna. Diese Leute sahen nicht aufs Geld, sie zahlten einfach und still was man von ihnen verlangte und verschwanden auch immer sehr schnell wieder vom Nachtlager.
Jenna verlangsamte ihren Schritt, sie sah sich dabei nach möglicher Kundschaft um. Männer gab es hier zur Genüge, aber selbst sie war inzwischen wählerisch geworden. Anhur bot viele Möglichkeiten und der Großteil der Bevölkerung hatte viel Geld...
Jenna war nicht mehr gezwungen jede Nacht auf Tour zu gehen – dass sie es trotzdem tat lag wohl daran, dass sie tatsächlich mit dem Gedanken spielte, irgendwann einmal komplett aufzuhören. Sie sparte mittlerweile den Großteil ihres Lohnes und hoffte auf diese Weise für sich und ihre Zukunft etwas zu tun. Monica hingegen war anders – einfach nur Leben. Morgen kann man schon tot sein, dann nützt einem alles Geld der Welt nichts mehr.
Ein junger Privateer schien Jennas Aufmerksamkeit zu erregen, er wirkte seltsam gepflegt und hatte kurze, streng nach hinten gekämmte Haare, die mit etwas Gel fixiert waren. Auch seine Bekleidung zeugte von Geschmack, sie wirkte sauber, war von schwarzer Farbe und schien nicht bereits seit Tagen am Körper getragen zu werden. Der Söldner schien sie wohl bemerkt zu haben, jedenfalls kam er direkt auf das Pärchen zu. Jenna baute sich regelrecht vor ihm auf, ihren Mantel ließ sie mit Absicht ein kleines Stück weit offen, so erlaubte sie recht tiefe Einblicke auf das nur spärlich bekleidete Darunter. »Noch einsam?« Ein wahres Unschuldslächeln begleitete diesen kurzen Satz. Und beides zusammen schien die gewünschte Wirkung nicht zu verfehlen.
»Tja, wie man es nimmt. Was bekommt man denn für sein Geld?«
Innerlich war Jenna jetzt ein wenig verärgert, solche Sätze und ähnlich nette Phrasen kannte sie noch zur Genüge von den Leuten auf Hermes.
»Kommt darauf an, was du dir vorstellen kannst. Es liegt allein bei dir...«
Jenna zog die letzten Worte etwas in die Länge und warf einen kurzen Blick auf Monica. Die verstand auch gleich, was ihre Freundin im Schilde führte und strich sich gekonnt einige Haare aus dem Gesicht. Der Privateer legte ein Lächeln auf, dann sah er Jenna eingehend an. Zugegeben, sie war wirklich süß. Aber er hatte wohl etwas anderes im Sinn. Und Jenna sollte dabei eine tragende Rolle spielen.
Der Söldner griff in eine seiner Hosentaschen und zum Vorschein kam dabei ein kleines, undefinierbares Gerät. Vom Aussehen her lag das Ding irgendwo zwischen einer Speicherkarte für ein MACS und einem Sensorenaufsatz für einen Scanner an einem Schiff.
Mit einer ungewöhnlich langsam anmutenden Bewegung legte der Söldner das Teil in Jennas Hand.
»Siebenhundert Credits, wenn du und deine Freundin darauf aufpasst.«
Jenna sah ihn ungläubig an.
»Und wenn ich wissen will, was das ist?«
Der Fremde holte tief Luft.
»Siebenhundert jetzt und noch einmal Siebenhundert, wenn du das nicht wissen willst. Einverstanden?«
»Einverstanden.«
Mit Hilfe seines MACS überwies der Söldner umgehend den vereinbarten Betrag, dann machte er einfach kehrt und schritt in die Richtung davon, aus der er gekommen war.
»Wie kommen wir in Kontakt?« Monica rief ihm diese Worte nach.
»Keine Angst – ich finde euch. Ist wirklich kein Problem, wir sehen uns morgen wieder. Und bitte, gib es auf keinen Fall in fremde Hände.«
Der Söldner zog seinen letzten Satz merkwürdig in die Länge, er schien gerade das Wort Hände dabei betonen zu wollen.
Monica war ehrlich gesagt einfach nur sprachlos. Dann fiel ihr aber wieder ein, das sie schon einmal etwas Ähnliches für einen Kunden getan hatten – und zwar hier auf Anhur, kurz nach ihrer Ankunft. Damals sollten sie einen Aktenkoffer für einen kleinen, untersetzten Büroangestellten durch die Gegend schleppen, plus halt eben neben dem Kunden einfach nur gut aussehen. Und im Prinzip war das hier doch nichts wirklich anderes, oder? Obwohl... Die Bezahlung war ungewöhnlich hoch. Jenna schien die Zweifel ihrer Freundin nicht teilen zu wollen, sie schob das Gerät einfach vorne in ihre Korsage.
»Keine Diskussionen. Geld ist Geld, Job ist Job. Wie sieht es aus, machen wir Schluss für heute?« Monica nickte nur.

*

Ein leises Fluchen hallte quer durch den langen Hangar, fast schien es so, als würde jemand arg mit der Technik eines Jägers kämpfen. Nur hatte dieser jemand keinen Overall an, sondern er trug die typische Bekleidung eines Privateers.
»Na? Kommen wir klar?«
Der Angesprochene sah kurz auf seine Gesprächspartnerin, die soeben die Halle betreten hatte und sichtlich amüsiert war.
»Wie man es nimmt. Das Problem ist typisch für neue Maschinen, die Teile sind so dermaßen eingefettet und ölig, dass kein Werkzeug daran halten will. Von den eigenen Händen mal ganz zu schweigen.«
»Ach ja? Was treibst du da eigentlich?«
Neugierig trat sie einen Schritt näher an ihn heran und sah über seine Schulter. Die Erklärung erfolgte sofort.
»Das Fahrwerk der Duress ist zu weich eingestellt. Und bei dem Gewicht der beiden Kravenlaser...«
»Verstehe. Aber dafür gibt es Techniker hier. Und die werden genau dafür auch bezahlt.«
»Das ist mir durchaus bewusst. Aber dieses Nichtstun geht mir langsam immer mehr an die Substanz. Wo sind nur die alten Zeiten geblieben?«
Ein schiefes Lächeln war alles, was der Mann von seiner Partnerin zu sehen bekam.
»Alte Zeiten? Da sehnt sich wohl jemand nach den Kiowan zurück, oder sind es die Söldner von Ricards, die dir so sehr fehlen?«
Der Mann dachte kurz nach. Seit etwa drei Monaten war es ausgesprochen ruhig im Tri-System, es gab so gut wie keine größeren Gefechte mehr, der Großteil der Piraten hatte sich zurückgezogen. Auf der einen Seite waren das gute Entwicklungen, leider ging dies auch ein wenig auf Kosten der Söldner – sie lebten ja vom ständigen Krieg mit Piraten. »Soll ich dir vielleicht helfen?« Sie sah ihn mit großen Augen an, er nickte nur kurz und gab ihr einen hydraulischen Schraubenschlüssel in die Hand.
»Hier ansetzen... Und festhalten.«
Er zeigte auf eine kleine Stelle am Bugfahrwerk seiner Maschine. Mit geübten, fast schon eingespielten Bewegungen setzte sie seine Aufforderung in die Tat um – das festsitzende Teil am Fahrwerk begann sich zu bewegen. Er sah dabei auf ein Pad, das Display zeigte den Fortschritt der Feinjustierungsarbeiten. »Na also, es geht doch. Nur ein kleines Stück noch.«
Sie löste das Werkzeug wieder vom Fahrwerk, dann sah sie ihn an.
»Sonst noch Wünsche, werter Ser Tron?«
Er quittierte das Ganze mit einem Lächeln seinerseits.
»Nein, das wäre dann alles, Sera Drake.«
»Sera Drake... Wie lange ist das her, dass du mich so genannt hast?«
Er behielt sein Lächeln bei.
»Ewig, Kleines. Ich bin dann hier fertig. Gehen wir etwas essen?«
Venice nickte nur, sie legte ihren Arm um seine Hüfte.
»Der Gastgeber zahlt.«
»Ich hatte nichts anderes erwartet, Venice.«
Janus IV war um diese Jahreszeit nicht mehr so stark besucht, es wurde zunehmend kühler draußen und nur für die kurze Zeit, die man hier als Winter bezeichnen könnte, gab es mehr Einheimische als Touristen auf dem Planeten.
Dieser Zustand hielt allerdings nur etwa zwei bis drei Monate an, danach kletterten die Temperaturen wieder steil nach oben.
Deacan und Venice waren vor vier Tagen hier gelandet und für beide war diese Zeit hier der erste wirkliche Urlaub – auch wenn sich beide nicht unbedingt so geben und verhalten konnten wie sie es gerne getan hätten.
Nach wie vor galten beide als tot. Dank der Hilfe von Ser Arris hatten sie mittlerweile neue Identitäten für etwaige Auftritte in der Öffentlichkeit erhalten: Ser und Sera Reese. Okay, der Name war die eine Sache, an die sich die beiden gewöhnen mussten, die andere war eigentlich noch ein wenig komplizierter: Venice und Deacan spielten das frisch verheiratete Pärchen. Und das nahm man als Außenstehender den beiden sogar ab. Tatsächlich waren sich beide mittlerweile sehr nahe gekommen, aus reiner Teamarbeit war eine innige Beziehung entstanden.
Hand in Hand spazierten sie über die großen und angenehm leeren Straßen, dabei waren sie aber ständig darauf bedacht, nicht allzu lange an ein und demselben Schaufenster stehen zu bleiben oder gar jemandem zu sehr aufzufallen. Auch das Äußere der beiden hatte sich ein wenig verändert, der Privateer trug das lange Haar nicht mehr offen, vielmehr nahm er es zu einem Pferdeschwanz zusammen. Der Bartschatten hatte sich mittlerweile zu einen gepflegten Oberlippen- und Kinnbart gemausert. Seine Partnerin trug das ohnehin schon kurze Haar noch kürzer, der Nacken war hochrasiert, dafür hingen jetzt zwei lange Strähnen vor den Ohren rechts und links kinnlang herunter. Die Farbe erinnerte ein wenig an Erdbeeren, vermengt mit dunkleren Strähnchen. Geblieben waren nur sein alter Mantel und die Vorliebe der beiden für die Farbe Schwarz.
Deacan entschied sich für ein kleines Bistro, hier wollte man schnell etwas essen und anschließend so schnell wie möglich wieder ins Hotel verschwinden.
Ein freier Tisch war schnell gefunden, und noch schneller war nur der Kellner anwesend, man wollte (und durfte) die wenigen Gäste nicht warten lassen, zumal es unzählige Alternativen in den Straßen hier gab. Hier galt er wirklich als Leitmotiv – jener Spruch: der Kunde ist König.
Ein kurzer Blick in die Menükarte offenbarte dem Gast schnell den Ursprung der angebotenen Speisen und Getränke: Crius.
Lebensmittelzusätze oder gar geklonte Inhaltsstoffe suchte man vergeblich in den Speisen, und selbst die Getränke waren noch nicht synthetisch hergestellt. Deacan klappte als erster seine Karte zu, er sah quer über den kleinen, kreisrunden Tisch auf seine Partnerin.
»Den großen Fisch von Seite eins für die Dame.«
Der Kellner nickte, dann sah er auf Venice.
»Und das vegetarische Baguette von Seite drei für den Herren.«
Langsam senkte sie ihre Karte nach unten, ein süßes Lächeln lag auf ihren Lippen.
»Und was wünschen Sie zu trinken?«
»Rotwein wäre nicht schlecht.«
Der Kellner, ein älterer Herr, wahrscheinlich Anfang Fünfzig, sammelte die Karten ein und verschwand kurzerhand in Richtung Küche. Deacans Blick wanderte einmal quer durch das Bistro, es waren nur drei weitere Tische besetzt. Eine kleine Bar gab es hier auch, sie stand verlassen und etwas versteckt zwischen Unmengen von Grünpflanzen. Zudem gab es einige Monitore, die an den Wänden befestigt waren und auf denen unterschiedliche Nachrichtenkanäle liefen. Eigentlich war das eine regelrechte Informationsflut, die hier auf den Gast losgelassen wurde, aber es hatte sich wohl bislang noch keiner ernsthaft darüber beschwert. Außerdem: nichts war im Tri-System so wichtig wie Informationen, gerade wenn diese aus anderen Sektoren stammten. Venice beugte sich etwas über den Tisch, schnippte kurz mit den Fingern und versuchte so die Aufmerksamkeit ihres Partners wieder zurück zu gewinnen.
»Hallo mein Freund. Nicht träumen. Sonst verpasst du noch dein Essen.«
Deacans Blick aber blieb an einem der Monitore hängen und sein Gesichtsausdruck verhieß dabei nichts Gutes. Venice drehte ihren Kopf ein wenig zur Seite, sie wollte natürlich wissen, was da so interessant sein könnte. Und auch ihr Mienenspiel wurde ernst.
»...Wie uns vor einer Stunde mitgeteilt wurde, verstarb der ehemalige Senator und wohl bislang berühmteste Insasse des Gefängnistraktes auf Hades, Ser Angus Santana, letzte Nacht durch Suizid – man fand ihn heute morgen gegen 6 Uhr Ortszeit erhängt in seiner Zelle. Wie dies überhaupt im Hochsicherheitstrakt der CIS möglich sein konnte wird derzeit untersucht. Es hat aber den Anschein, dass Santana Hilfe von außen hatte. Mit dem ehemaligen Politiker verschwindet wohl auch die Möglichkeit, Antworten auf einige wichtige Fragen zu erhalten. Der Prozess gegen Ser Santana sollte in gut zwei Monaten beginnen und die Chancen für eine Verurteilung standen im Allgemeinen sehr gut, dank der Aussagen einer ehemaligen Angestellten sowie diverser sichergestellter Dokumente aus den privaten Archiven des Angeklagten. Mit dem Namen Santana wird auch noch heute die Katastrophe von Petra in Verbindung gebracht – und genau dorthin werden wir jetzt eine exklusive Liveschaltung einrichten. Sera Susan Battler ist für uns vor Ort. Susan – wie sieht es derzeit auf dem ehemaligen Schlachtfeld aus?«
Für einige Sekunden blieb das Bild auf dem Monitor schwarz, dann kam eine junge Reporterin ins Bild, zu ihrer linken Seite stand ein ebenfalls noch sehr jung wirkender Offizier der CIS.
»Das ehemalige Schlachtfeld ist wieder belebt – und die Normalität ist anscheinend auf Petra zurückgekehrt. Inzwischen leben hier wieder mehr als sechshundert Menschen, der überwiegende Teil arbeitet in den Wartungshallen des kleinen Raumhafens hier. Petra erholt sich langsam von den grausamen Tagen der Besetzung durch den Piratenclan der Kiowan, aber noch immer arbeitet und lebt man hier mit der Angst. Neben mir steht der offizielle Sprecher der CIS von Petra. Ist die Angst hier unbegründet?«
Der Offizier räusperte sich.
»Unbegründet ist sie auf keinen Fall. Obwohl inzwischen mehr als fünf Monate seit der Befreiung des Planeten vergangen sind, haben wir noch immer mit diversen Sprengfallen und ähnlichen Hinterlassenschaften der Piraten zu kämpfen. Zum Glück gab es in den letzten Wochen keine Verletzten mehr, den letzten Verlust an menschlichen Leben mussten wir vor etwa vier Monaten verzeichnen. Wie gesagt, die Aufräumarbeiten sind eigentlich so gut wie abgeschlossen, aber noch kann von unbeschwertem Leben hier keine Rede sein.«
Die Reporterin nickte dem Soldaten als Dank kurz zu, dann sah sie wieder in die Kamera.
»Und doch geht das Leben weiter. Das war Susan Battler für Tri-System News mit einem Bericht vom Planeten Petra.«
Deacan und Venice sahen sich intensiv an, und beide schienen wohl in etwa auch das Gleiche zu denken: Was zur Hölle war da passiert?
Selbst der gerade wieder auftauchende Kellner mit dem vollen Tablett und der Weinflasche unterm Arm konnte diese Gedanken nicht beiseite schieben.
»Und dafür haben wir unser Leben riskiert? Damit der noble Bürokrat sich still und leise verdrückt? So oder so, wir sind wieder am Anfang. Ich hasse es, wenn so etwas passiert.«
Venice schien aus ihrer Verärgerung kein Hehl zu machen. Ihr Tischgenosse hingegen versuchte zumindest sachlich zu bleiben.
»Das geht auf eine andere Rechnung, Kleines. Jede Wette, da hat jemand anderes die Fäden gezogen. Die Frage ist nur: Wer?«
Er sah dem Kellner kurz beim Einschenken des Weines zu, dann schenkte er seine Aufmerksamkeit wieder seiner Partnerin. »Ich weiß, dass du sauer bist. Hey – ich bin es auch. Immerhin, ein übler Zeitgenosse ist damit weg vom Fenster.«
»Mag sein. Aber dafür gibt es einen Mörder mehr im System. Und das missfällt mir sehr. Wo setzen wir an?«
Der Privateer glaubte sich verhört zu haben.
»Wir? Hatten wir nicht schon genug Ärger am Hals?« Venice versuchte sich in einem Lächeln.
»Ja, stimmt auffallend. Aber ich denke, dass Ser Arris uns sowieso auf die Sache ansetzen wird. Er wird das nicht so einfach auf sich beruhen lassen – das Ganze schreit ja förmlich zum Himmel.«
»Aha. Und du wolltest ihm also schon mal vorweg die Entscheidung über die Wahl der Ermittler abnehmen. Ist ein nobler Zug von dir. Aber nun ja, wenn es nicht anders geht...«
»Sieh es mal von der Seite: Wer wenn nicht wir hatte schon seine Finger so tief in der ganzen Geschichte drinnen? Es wird Zeit, das zu beenden. Auf die eine oder andere Art muss es ein Ende finden.«
Deacan griff zum Glas, er leerte es mit wenigen Zügen. Dann fiel sein Blick auf den Teller, der gerade vom Kellner direkt vor seiner Nase abgestellt wurde. Ruhe, da gehst du nun dahin. »Lass es dir schmecken, Deacan.« Ein schiefes Grinsen lag auf dem Gesicht des Privateers.
»Das wird dann wohl vorerst die letzte Mahlzeit sein, die ich in Ruhe genießen kann, oder?«
 
part 2

*

»Ser!«
Die Wachsoldaten nahmen sofort militärische Haltung an und stellten sich rechts und links von der großen Flügeltür auf, als ihr kommandierender Offizier im Laufschritt an ihnen vorbei eilte. Ein kurzes, kaum wahrnehmbares Nicken mit dem Kopf war die einzige Antwort, die sie von ihm erhielten, während er per MACS die Sicherheitssysteme der Tür kurz deaktivierte und dann in den Raum eintrat, der offiziell als Leichenhalle deklariert worden war. Die hellen Kacheln an den Wänden und auf dem Fußboden schienen die Kälte des Raumes noch zusätzlich zu verstärken. Zwei große Seziertische aus Metall bildeten den Blickfang für jeden Neuankömmling. Eine komplette Wandfläche wurde von unzähligen kleinen Türen durchbrochen, was dahinter in den Kühlzellen lag konnte man regelrecht riechen, auch wenn mit Hilfe von Desinfektionsmitteln ständig versucht wurde, dem zum Teil bestialischen Geruch bereits im Vorfeld zu Leibe zu rücken.
»Ser!«
Eine junge Ärztin grüßte den Kommandanten ebenfalls militärisch, allerdings verzichtete sie auf das obligatorische Strammstehen. Er atmete scharf aus.
»Was haben Sie für mich?«
Anstatt sofort eine Antwort zu geben, öffnete sie eine der kleinen Türen in der Wand und zog eine gut zwei Meter lange Bahre hervor, darauf lag unter einer Decke ein lebloser Körper.
»Ser Angus Santana, unser allseits beliebter Senator im Zwangsruhestand.«
Sie schlug die Decke zurück und gewährte dem Chef der CIS damit einen Blick auf den Toten. »Die Todesursache ist ein massiver Verschluss der Luftröhre, der Bruch mehrerer Halswirbel und der Abriss der Halsschlagadern als direkte Folge der Strangulation. Allerdings...«
Sie holte kurz tief Luft. »...passt hier einiges nicht so recht zusammen.«
»Geht das konkreter? Und bitte kein Fachchinesisch.«
»Natürlich. Die Verletzungen sind schlicht und einfach zu massiv, als das sich unser Freund hier das Ganze selbst angetan haben könnte. Vielmehr hat da jemand ziemlich kräftig und brutal an den Beinen des Mannes gezogen, wahrscheinlich um den Tod schneller einzuleiten.«
»Das hier an seinen Armen, diese Flecken – sind das Abwehrspuren?«
»Richtig erkannt, freiwillig ist er definitiv nicht von uns gegangen.«
»Wissen Sie eigentlich, was Sie da andeuten?«
Die Ärztin nickte lebhaft.
»Ja. Ich möchte es allerdings nicht aussprechen geschweige denn auch nur denken. Aber es führt wohl kein Weg daran vorbei, wir haben ein massives Sicherheitsproblem hier.«
»Und ein paar Mörder in Uniform.«
Betroffen schwieg die Ärztin zu der Formulierung ihres Vorgesetzten, aber sie wusste nur zu gut, wie Recht er damit hatte. Langsam zog sie die Decke wieder über das Gesicht des Toten, dann fuhr sie mit ihren Ausführungen fort.
»Die toxikologischen Untersuchungen stehen noch aus, ich gebe Ihnen aber sofort Bescheid, wenn wir damit fertig sind.«
»Gut. Hat schon jemand wegen einer Beisetzung angefragt?«
Etwas ungläubig sah die Ärztin in Hassans Gesicht.
»Nein, Ser. Warum fragen Sie?«
Nachdenklich griff er sich unter das Kinn.
»Vielleicht kann es ja jemand kaum erwarten, dass unser Freund hier unter die Erde kommt.«
Wieder gab es ein paar Sekunden Ruhe, dann allerdings sprach die Ärztin wohl das aus, was viele im Tri-System dachten.
»Darf ich offen sprechen? Die Liste derjenigen, die sich seinen Tod gewünscht hätten, wäre wohl mehr als nur ellenlang.«
»Allerdings... Gut, machen Sie einfach weiter. Ich bin in meinem Büro.«
»Wie Sie wünschen, Ser Hassan.«
Während David Hassan genauso schnell den Raum verließ wie er ihn betreten hatte, schob die Ärztin die Bahre behutsam wieder in die Kühlzelle zurück. »Sie hatten dann wohl Ihre Chance, werter Senator. Und zum Unglück für uns alle haben Sie diese eine Chance verpasst. Oder aber vielleicht auch zum Glück... Wer weiß?« Ihre Worte fanden jedoch keine Antwort, sie verloren sich in der eiskalten Luft.
Der Weg bis zum Büro war nicht sehr weit, ein paar Schritte bis zum Lift, dann drei Etagen nach oben, dann wieder nur ein paar Schritte bis zur Glastür.
Hassan öffnete diese nur zögerlich, er schien in Gedanken irgendwo anders zu sein. Als die Tür hinter ihm ins Schloss fiel und er allein in seinem eher spärlich möblierten Zimmer stand, atmete er hörbar auf. Nein, so hatte er sich den weiteren Verlauf der Dinge nicht vorgestellt. Dafür hatte er nicht seinen Kopf riskiert, dafür hatte er nicht seinen Ruf und seine Karriere aufs Spiel gesetzt.
Er wollte doch nur Ruhe haben... Hassan setzte sich hinter seinen riesigen Schreibtisch, und aktivierte ein im Tisch eingelassenes Display.
»Wiederholung der Sequenz Nummer Vier.«
Sequenz Nummer Vier... Das waren jene Sekunden, in denen Santana vermutlich sterben musste. Zumindest sollte es jene Sekunden sein, aber der Gefangene schlief auf allen Aufzeichnungen jener Nacht seelenruhig den Schlaf der Gerechten – jemand hatte die kompletten Aufzeichnungen manipuliert. Eine Tat, die eigentlich an das schier Unmögliche grenzte und Ser Hassan in tiefe Zweifel fallen ließ. Es gab einen Maulwurf in seiner Truppe, es gab bezahlten und gut organisierten Verrat, und das inmitten der bestgesichertesten Militäranlage des gesamten Tri-Systems. Keiner kam hier unbemerkt rein oder raus, jede noch so winzige Bewegung wurde von unzähligen Sensoren registriert. Und doch, es war geschehen, direkt vor seinen Augen.
Die größte Sorge des Chefs der CIS bestand jedoch darin, was die Presse daraus machen würde – dass Santana tot war, das wusste inzwischen jede noch so kleine Nachrichtenstation. Nur die genauen Umstände lagen derzeit noch unter Verschluss. Aber für wie lange? Wäre dieser Vorfall vor einigen Jahren passiert, dann hätte man einfach dem großen Clan die Schuld zuweisen können. Aber jetzt? Der Clan existierte in seiner alten Form nicht mehr, derzeit hatte ein ehemaliger Privateer namens Ser Arris das Kommando inne.
Und dass dieser Mann loyal zur CIS oder dem System stand, darüber gab es keine Zweifel. Zu oft hatten sie gemeinsam agiert, zu oft hatten sie sich geholfen. Arris hatte den Senator letzten Endes sogar überführt...

*

Es gab hier eine lang gestreckte und schnurrgerade Fußgängerzone, die von den meisten Bewohnern liebevoll die Straße genannt wurde, auch wenn sie dieser Bezeichnung nicht ganz gerecht werden konnte.
Auf der einen Seite befanden sich unzählige Ladenzeilen, es gab fast nichts, was es hier nicht zu kaufen gab. Auf der anderen Seite lag eine Fensterfront und die konnte den unbedarften Neuankömmling ein wenig in Angst versetzen – er blickte durch das dicke Panzerglas direkt tief ins All. Blickte der Betrachter nach oben, dann sah er direkt auf eine Andockschleuse, die ebenfalls verglast war. Man konnte also genau sehen, wann die Märkte hier mit frischem Obst beliefert wurden. Oder aber einfach nur seine Uhr nach den immer überpünktlichen Starts der Jägerstaffeln der Sektorenmiliz stellen.
Wer auf eine Sektorenkarte des Tri-Systems sah und des Lesens kundig war, der entdeckte sehr schnell, dass es mehrere dieser kleinen (oder größeren) Oasen der Menschheit im All gab. Sie waren immer dort errichtet worden, wo es entweder abbaubare Mineralien in Form von Asteroidenfelder gab oder aber der lange Weg bis zum nächsten bewohnten Planeten einen kleinen Zwischenstopp sinnvoll erscheinen ließ. Der Großteil dieser Raumstationen waren dabei sehr stark spezialisiert, es gab unter anderem auch reine Handels- oder Reparaturstationen, erste wurden direkt von der CCN kontrolliert und letztere gehörten den großen Schiffswerften des Tri-Systems.
Der Name dieser Station hier war Tersa, sie wurde offiziell als „Superstation“ klassifiziert und viel gab es von hier – der hochtragenden Klassifizierung zum Trotz – noch nie zu berichten. Dieser Ort hatte nie große Namen, sprich Personen hervor gebracht, lediglich ein oder auch zwei Frachtschiffe hatten die Ehre, ihre Namensgebung eben dieser Station hier zu verdanken.
Es gab noch eine weitere, völlig baugleiche Station im Tri-System, sie lag fast zwanzig Sprünge von hier entfernt, in direkter Nähe zum Planeten Hermes.
Man lebte hier sehr ruhig, es gab nicht einmal Streit über eventuell zu hohe Preise für das eine oder andere importierte Luxusgetränk von Janus IV oder Anhur.
Nein, wer hier lebte und arbeitete, der hatte entweder Interesse und Freude an der sprichwörtlichen Leere und Langeweile des Alls oder aber keine andere Wahl. Gerade in den Reihen der Miliz hier gab es zwei Dienstvarianten, eine hieß „in Ruhe zur Rente“, Nummer Zwei hatte den Wortlaut „Mist gebaut und Strafversetzt“. Man sah den Mitarbeitern der Miliz leider nicht an, welche der beiden Varianten gerade zu ihren Lebenslauf passte, aber es hätte wohl auch niemals jemand danach gefragt. Es gab Wichtigeres zu tun.
»Hey Chris! Wann kommen eigentlich mal die neuen Teile für die Displays hier an? Das ständige Flimmern geht mir langsam aber sicher auf die Nerven, da muss man ja Kopfschmerzen kriegen.«
Der angesprochene Mitarbeiter holte hörbar Luft. Er war verärgert, erstens weil er eigentlich der direkte Vorgesetzte für den jungen Kollegen hier war und somit an die Verwendung von gewissen und in Militärkreisen durchaus üblichen Formen der direkten Anrede gewöhnt war – gemeint ist das Wort Ser, vielleicht auch noch freundlicherweise in Verbindung mit dem Nachnamen des Gesprächspartners und zweitens weil er sich diesen Satz fast jeden Tag aufs Neue anhören durfte. Allerdings... Er versah hier nun schon seit mehr als zwanzig Jahren seinen Dienst auf der „Brücke“ dieser Station und er würde wohl oder übel noch einige Zeit mit seinem Mitarbeiter im selben Raum verbringen müssen. Also gab er Antwort.
»In den letzten Materiallieferungen war nichts dabei. Nur unsere Adrenalinjunkies da draußen haben Grund zur Freude, nächste Woche kommen vier neue leichte Jäger rein. Aber dich macht das sicher nicht glücklich.«
Der Offizier sah auf seinen jungen Kollegen herab. Dann warf er einen kurzen Blick durch das Fensterglas nach draußen und ein paar Sorgenfalten tauchten auf seiner Stirn auf. »Wie oft eigentlich noch, bis diese Idioten begreifen, dass ihnen das Dock nicht allein gehört!« Etwas verständnislos blickte der junge Soldat in die Richtung, in der offenbar ein Ärgernis für seinen Vorgesetzten zu finden war.
Und richtig, ein kleiner Frachter, Typ Gea Transit, blockierte anscheinend den Haupthangar – allerdings nicht den für die zivilen Maschinen, sondern den für die Miliz. »Anflugkontrolle Station Tersa an Frachter...«
Der Offizier hielt kurz inne, dann sah er auf einen kleinen Monitor, um die Daten und die Schiffskennung zu überprüfen. »...Frachter DE-89 Maine, darf ich fragen, wer Ihnen gestattet hat, Ihr Schiff als Türstopper zu verwenden?«
Für einen Augenblick war nur ein leises Rauschen über die Lautsprecher zu hören, dann hörte man eine Frauenstimme.
»Hier ist die DE-89 Maine, es tut mir leid, aber unser Korrekturtriebwerk ist beschädigt, wir haben das aber erst vor zwei Minuten bemerkt. Wir driften derzeit in Richtung Dock Zwei ab und wären über etwas Hilfe sehr dankbar.«
Aha, ein Triebwerksschaden also. Gedanklich spielte der Stationsoffizier bereits mit einer Beschwerde. Nur an wen er diese genau richten würde, das stand noch nicht fest. Er wandte sich einem kleinen Display zu und listete die derzeit aktiven Jägerverbände der Station auf. Eine schwere Maschine war schnell gefunden – mit ihrer Hilfe konnte man das Problem mit dem Frachter in Angriff nehmen.
»Jäger Bravo Eins, sind Sie auf Empfang?« Umgehend kam eine Antwort.
»Hier Jäger Bravo Eins, was gibt es denn?«
»Da hat ein alter Gea Transit ein paar Probleme, hilf doch bitte mal den Herrschaften aus – nimm sie einfach in Schlepp.«
»Verstanden, bin auf dem Weg. Bravo Eins Ende.«
Der Blick des Offiziers glitt vom Frachter wieder zum Kollegen, der ein breites Grinsen auflegte.
»Na wer sagt es denn, da gibt es doch tatsächlich Arbeit für uns. Ich gebe schon mal der Wartungscrew Bescheid, dass sie heute Überstunden schieben dürfen.«
»Ja, mach das.«
Langsam drehte sich der Offizier um, dann heftete sich sein Blick aber an etwas, das eigentlich nicht sein konnte. Er wies mit der Hand auf eines der Displays. »Sag mal, läuft hier ein Diagnoseprogramm?«
Sein junger Kollege sah angestrengt auf die Daten, die sich auf dem Bildschirm direkt vor seiner Nase in rascher Folge aufbauten.
»Ähm... Nein. Warum?«
Jetzt wurde der ältere Offizier plötzlich hektisch, er stürzte regelrecht auf eine der vielen Tastaturen zu und versuchte dort einige Befehle einzugeben – anscheinend aber ohne jeglichen Erfolg. »Was zum Geier machst du da?«
»Nicht fragen. Lesen – los verdammt, lies vor was da auf dem Display steht.«
»Warum? Was soll das alles?«
»Keine Zeit! Jemand von außerhalb durchsucht hier unsere Datenbänke. Also, was steht da? Was ziehen die aus unseren Archiven?«
Jetzt begriff der junge Milizionär die so plötzlich einsetzende Hektik. Der rasche Datenstrom auf dem Display übertraf allerdings seine Auffassungsgabe bei weiten.
»Das geht hier zu schnell... Moment... Hades, die versuchen Informationen über Hades zu bekommen.«
»Weiter. Los, die Augen nur aufs Display.«
Der ältere Offizier öffnete in der Zwischenzeit einige Schaltkästen, die sich unter einem Schreibtisch befanden und mehrere Kabelstränge wurden sichtbar. Sein junger Kollege versuchte noch immer, den Anweisungen Folge zu leisten und so viel wie möglich von dem Datendiebstahl im Kopf zu behalten.
»Okay... Wie gesagt, Daten über Hades. So wie ich das verstehe, geht es die Baupläne der Hochsicherheitsanlagen, außerdem um die derzeitige Truppenstärke vor Ort. Wachpersonal, Dienstakten... Wie weit bist du?« Der letzte Satz war kaum im Raum verklungen, da ging das Display offline – der Offizier hatte einfach einige der Kabel aus dem Schaltkasten gerissen.
»Der Spaß dürfte damit vorerst vorbei sein.«
Ein rascher Griff an seinen Hosenbund und er hielt sein MACS in den Händen. »Notfallkanal, Priorität Eins! Verbindung aufbauen, Hades, Ser David Hassan. Aufzeichnung starten, Wortlaut: Ser Hassan, hier spricht der diensthabende Offizier der Station Tersa, Ser Larsen. Einbruch in die Datenbanksysteme der Station. Erbitten umgehend Unterstützung und Diagnoseteam. Schaden nicht abschätzbar, erbitten schnelle Antwort.« Er deaktivierte das Gerät wieder.
»Irgendeine Idee, was das sollte?«
Nachdenklich fuhr sich der Vorgesetzte mit der Hand über den kurzen Kinnbart.
»Hoffen wir einfach, dass nichts wirklich Relevantes gesendet wurde... Ich bin in meinem Büro und verfasse einen ersten Bericht. Und du...«
Er warf einen kurzen Blick auf seinen Kollegen. »...versuche einmal nicht zu meckern und benachrichtige bitte ein Reparaturteam. Die sollen sich um den Kabelsalat hier kümmern. Okay?«
»Wie Sie wünschen, Ser Larsen.«
Der bissige Ton in diesem Satz erreichte sein Ziel nicht mehr – Ser Larsen verschwand schnellen Schrittes durch die Tür.

*

»Du bist dran!«
Ein kräftiger Stoß in den Rücken des kleinen Jungen begleitete diesen kurzen Satz. Der Junge drehte sich um, dann erkannte er sofort seine Spielgefährtin und rannte ihr nach – allerdings nicht, ohne die mahnenden Worte seines Vaters hören zu müssen.
»Eugene... Wie oft eigentlich noch? Das hier ist kein Spielplatz...«
»Ja Dad.«
Eine kurze Floskel, und jeder konnte sich denken, dass sich der Junge auf Dauer wohl kaum an das Verbot seiner Eltern halten würde. Eugene verschwand hinter dem nächsten Schott, in Richtung der Quartiere des großen Frachters. Er hatte die letzten vier Wochen an Bord verbracht und war überglücklich, dass mittlerweile mehrere Familien mit Kindern den Platz hier mit ihm teilten.
Das Ziel der Reise hieß Petra.
Eugenes Vater war Techniker für Bergbauwesen, seine Mutter arbeitete als Lebensmitteldesignerin und er selbst war der einzige Spross der kleinen Familie. Dieser Umzug war inzwischen der dritte, den die Familie über sich ergehen ließ. Petra war so etwas wie Neuland, nach der Besetzung durch die Kiowan taten sich die großen Firmen recht schwer, wieder neue Siedler zu finden. Man wählte schließlich den einfachen Weg: Geld. Doch selbst das zog bei weitem nicht das gewünschte Resultat nach sich.
Man hatte einfach gesagt Angst. Petra lag weitab von den größeren Planeten und selbst Serca, der als direkter Nachbar gehandelt wurde, war immerhin vier Sprünge entfernt. Vier Sprünge... Eigentlich eine recht kurze Strecke, aber niemand hier besaß einen schnellen Jäger, der in wenigen Minuten die großen Strecken zwischen den Sprungbojen überwinden konnte. Nein, man saß hier im Bauch eines Frachters. Zugegeben, eines großen Frachters, aber schneller als einige wenige hundert Meter pro Sekunde konnte dieses Ungetüm aus Stahl auch nicht fliegen. Sollte man jemals den Planeten wieder verlassen müssen, dann wohl auch nur mit einem solchen Frachter.
Eugene hatte etwas Mühe, den Schalter für eines der Zwischenschotts zu erreichen, dahinter befand sich einer der größeren Lagerräume des Frachters.
Ein herrlicher Spielplatz – es war dunkel, es gab unzählige geheimnisvolle Kisten, Container... Man durfte sich nur nicht erwischen lassen. Nach einem kleinen Sprung berührte Eugene dann nur kurz die Schaltfläche und das Schott glitt zischend zur Seite. Langsam trat der Junge ein, seine Augen brauchten ein paar Augenblicke, um sich an die neuen Lichtverhältnisse zu gewöhnen.
Dann vernahm er Schritte, die er sofort zuordnen konnte: Anica. Seine Spielkameradin war ein volles Jahr älter als er, dazu auch noch gut einen ganzen Kopf größer. Aber Eugene störte sich nicht daran, im Gegenteil. Er war sogar recht stolz, Anica seine Freundin nennen zu dürfen, denn ihr Vater war der Eigner dieses Schiffes. Eugene kletterte kurzerhand auf eine Kiste, denn von hier oben erhoffte er sich einen besseren Überblick. Im hinteren Teil des Raumes entdeckte er dann schließlich seine Freundin, leise kam er von seinem Podest wieder herunter und schlich sich an Anica heran. »Hab dich! Du bist dran!«
Doch Anica reagierte nicht darauf, stattdessen sah sie mit großen Augen aus einen kleinen Fenster nach draußen. Dort, irgendwo zwischen den Sternen, hatte sie für einige Sekunden einen blutroten Feuerschweif gesehen, der aber plötzlich vom Dunkel des Alls verschluckt wurde. Oder hatte sie sich das nur eingebildet?
Ihr Vater hatte ihr erzählt, dass es einige Stunden dauern würde, ehe man den nächsten Sprungpunkt erreichen würde – also kam ein Jäger, der sein Hyperraumtriebwerk aktiviert hatte, sicherlich nicht in Frage. Dort draußen gab es nur unzählige Asteroiden, sonst nichts. Was aber hatte sie dann gesehen? »Hey, spielst du etwa nicht mehr mit?« In Eugenes Stimme klang eindeutig Enttäuschung mit. Anica wandte sich wieder ihrem Spielgefährten zu.
»Was? Doch, aber ich glaube, es ist schon Essenszeit. Kommst du mit? Wir könnten danach gleich weiter Fangen spielen.«
Eugene nickte heftig und er legte seinen kleinen Arm um Anica.
»Wenn ich groß bin, dann bauen wir uns ein eigenes Schiff...« Gemeinsam verließen die beiden ihren Abenteuerspielplatz, in einer guten halben Stunde würden sie wieder hier sein und ihr unbeschwertes Spiel fortsetzen.
Ungesehen vom Rest der Besatzung oder gar der Passagiere des Frachters, tauchten weitere dieser „Feuerschweife“ im All auf. Erst einer, dann ein zweiter. Dann auf einen Schlag vielleicht ein gutes Dutzend. Und alle verschwanden sie wieder in der Dunkelheit, als würden sie ein Tor erreichen, einen unerforschten Ort, ein unbekanntes Ziel.
 
part 3

*

»Guten Morgen!«
Jemand zog mit einer schnellen Bewegung die schweren Vorhänge beiseite und der Sonnenschein durchflutete den Raum. Das grelle Licht war pures Gift für alle Lebewesen, die sich hauptsächlich in der Nacht um ihren Lebensunterhalt kümmern mussten und so war es nur eine Frage von wenigen Sekunden, bis sich die so unsanft Geweckten zu Wort meldeten.
»Licht aus!«
Jennas Stimme klang nur dumpf unter dem Kopfkissen hervor, in das sie ihr Gesicht regelrecht vergraben hatte, um dem Licht zu entgehen. Monica reagierte da schon konkreter, sie feuerte ihr Kissen quer durch den Raum, um den Übeltäter oder Spaßvogel zu verjagen. Der allerdings blieb in aller Seelenruhe stehen, erduldete sogar den Volltreffer von Monica und behielt dabei seine freundliche Miene bei.
»Ah, wie ich sehe, sind Sie also schon wach.«
»Hauen Sie ab und kommen Sie später wieder. Es ist erst kurz nach sechs Uhr.«
»Es ist bereits nach zehn Uhr. Und ich wollte eigentlich nur sehen, wie es um Sie steht. Aber wie ich hier feststellen kann und muss, scheint es Ihnen ja richtig gut zu gehen.«
Seltsam, jemand erkundigte sich nach Jennas und Monicas Wohlergehen? Jemand zeigte tatsächlich Interesse an den beiden Damen aus dem horizontalen Gewerbe? Jenna hob ihren Kopf ein wenig nach oben, nur verschwommen nahm sie die männliche Gestalt wahr, die sich etwa einen Meter von ihrem Bett positioniert hatte. Aber die Stimme des Besuchers klang sehr vertraut in ihren Ohren.
»Neils? Verflucht... Was wollen Sie denn hier?«
Der Gast lächelte leicht und er behielt seinen freundlichen Ton bei.
»Nun, wie gesagt, ich wollte einfach mal nach Ihnen sehen. Nehmen Sie es mir bitte nicht übel, aber ich habe so meine Prinzipien. Und letzten Endes wurden Sie mir ja eigentlich anvertraut, oder irre ich mich da?«
Nein, der Mann hatte damit durchaus Recht. Ser Gerald Neils war für Jenna und ihre Freundin ursprünglich der Ansprechpartner Nummer Eins gewesen, zumindest für die ersten paar Tage nach ihrer Ankunft hier auf Anhur.
Neils arbeitete neben seiner Tätigkeit als Leiter der CCN Anhurs auch als unauffälliger Helfer für mehrere Privateers, darunter auch für den „verstorbenen“ Ser Deacan Tron – Jenna und Monica waren die letzten Personen, die Ser Tron seinen Freund Neils anvertraute. Im Regelfall hieß das, dass Neils den beiden nicht nur eine Bleibe, sondern auch Arbeit verschaffte und sie dann für eine ganze Weile noch im Auge behielt. Allerdings stellte sich die Suche nach einer geeigneten Arbeit für die Damen als unmögliches Unterfangen heraus, beide kehrten normalen Tätigkeiten schneller den Rücken als ein Söldner eine Zielaufschaltung für eine Rakete bekommen konnte.
Ser Neils gab schließlich entnervt auf, er beschränkte seine Tätigkeiten nur noch auf obligatorische Besuche seiner Schutzbefohlenden – so wie heute eben.
Er setzte sich ans Fußende des Bettes und sein Blick wanderte einmal quer durch den Raum. Ordnung schien wirklich nicht zu den Eigenschaften der beiden zu gehören, das Zimmer oder besser der Fußboden glich eher einem Schlachtfeld als der Grundlage einer zivilisierten Behausung. Etwas amüsiert hob Neils mit spitzen Fingern einen winzigen Tanga vom Boden auf, er musterte kurz das Kleidungsstück und legte es dann wieder an seinen Platz zurück. »Ihr Zwei braucht eine größere Wohnung... Oder zumindest einen weiteren Raum nur für eure Wäsche.«
Jenna, ihres Zeichens Nacktschläferin, kletterte flugs aus den Federn und stolzierte an Neils vorbei in Richtung Bad.
»Sie sind doch sicher nicht hier, um einen Termin mit einem Wohnungsmakler vorzuschlagen, oder?«
»Nein, das mit Sicherheit nicht.«
Er legte kurz eine Pause ein. »Aber ich habe gehört, dass Ihr wieder mit der Miliz zu tun hattet?« Jetzt war auch Monica plötzlich hellwach.
»Woher wissen Sie denn davon? Spionieren Sie uns etwa hinterher?«
Neils schüttelte energisch den Kopf.
»Nein, nein. Ich versuche mal, es zu erklären. Sehen Sie, ich habe doch tatsächlich eine Familie, eine kleine, äußerst liebenswerte Frau, eine Tochter, die langsam aber sicher in die Pubertät kommt und einen erwachsenden Sohn, der so ganz nebenbei jeden Abend mit ein paar Kollegen auf Streife rund ums Regierungsviertel ist.«
Aha, daher wehte also der Wind!
»Neils? Sie erschrecken mich. Ich war immer der Meinung, dass Sie ganz alleine in einer kleinen Stube hocken und die Abende vor den Medienkanälen verbringen würden.«
Jenna kehrte von ihren Kurzbesuch im Bad wieder zurück, dabei entdeckte sie ein Tablett, das ihr Gast offenbar mitgebracht hatte. Frühstück! Okay... Sie schraubte ihre negative Einstellung zu Neils Besuch zu früher Stunde wieder etwas zurück, immerhin brachte der Kerl sogar einen Grund mit, der seinen Auftritt wieder entschuldbar machte. Mit einer flinken Handbewegung sicherte sie sich ein mit Marmelade bestrichenes Brötchen, dann sah sie Neils an.
»Danke. Aber ist kein Kaffee dabei?«
»Der Kakao in der Tasse ist wesentlich gesünder... Aber zurück zum Thema. Warum könnt Ihr nicht einfach das Regierungsviertel in Ruhe lassen? Wisst Ihr denn nicht, dass man euch unter Umständen länger als nur für eine Nacht inhaftieren könnte? Noch habt Ihr einen guten Fürsprecher... Aber irgendwann einmal hört auch dieses Glück auf.«
Jenna legte einen wahren Unschuldsblick auf.
»Hey... Wir haben es ja verstanden und wir werden aufpassen. Einverstanden?«
Ser Neils holte tief Luft, er wusste nur zu gut, dass diese Worte nur für wenige Augenblick in den Köpfen der beiden Damen Gültigkeit besitzen würde.

*

Der neue Blaster war zwar etwas schwerer als das Vorgängermodell, dafür aber waren seine Reichweite und die Durchschlagskraft um einige Prozent gesteigert worden. Ach ja, das Griffstück war zudem angenehm klein, wie geschaffen für zarte Frauenhände.
Überhaupt hätte man wohl am besten mit einen weiblichen Schützen für diese Waffe werben können, wenn man es denn gewollt hätte. Aber dieses Modell würde nur in äußerst kleinen Stückzahlen auf den Markt kommen und der Großteil davon würde an die Führungsetage der CIS gehen – mit Sicherheit sogar.
Sera Manley war im wahrsten Sinne des Wortes in ihrem Element. Sie hatte die vergangenen zwei Stunden unter freien Himmel auf einem provisorischen Schießstand der CIS auf Hades verbracht, übrigens auf Einladung des Chefs der Truppe in Uniform persönlich. Eigentlich hatte Ser David Hassan um ein dringendes, kleines Gespräch unter vier Augen gebeten, umso eigenartiger war jetzt der Umstand, dass er sich offenbar verspätete.
Seltsam... In der Vergangenheit kannte Manley ihren ehemaligen Vorgesetzten als Pünktlichkeit in Person, aber jetzt stand sie sich hier die Beine in den Bauch. Wären hier nicht so viele wunderbare Waffen gewesen, die Dame im kurzen Rock, dem bauchfreien Top und dem rot leuchtenden Haar wäre wohl inzwischen wieder verschwunden. Aber hier roch es ja förmlich nach Adrenalin in Form von hochenergetischer Munition und Granaten mit Splittersprengkopf.
Ein weiteres Mal richtete die ehemalige Agentin den Blaster auf die Zielscheibe, ein weiteres Mal betätigte sie den Abzug und wieder verschwand das Ziel aus Kunststoff in einer kleinen Wolke aus Feuer und Rauch.
»Man könnte tatsächlich meinen, dass Sie inzwischen mehr Zeit mit Waffen als mit einem Datenpad verbringen würden.« Diese Stimme erkannte Manley natürlich sofort, sie senkte die Waffe und sicherte dabei den Abzug.
»Sagen wir es so, ich habe einfach ein wenig mehr Freizeit bei Ser Arris als in der alten Truppe. Aber schön Sie wieder zu sehen, Ser.«
Hassan streckte seine Hand zur Begrüßung aus, eine Geste, die Manley lächelnd erwiderte.
»Und?«
»Und was?«
»Wie stehen die Aktien im Clan?«
Hassan teilte jetzt das Lächeln seines Gastes.
»Es geht soweit ganz gut, ist ziemlich ruhig geworden. Aber Ser Arris vermisst den ganzen Trubel wohl eher nicht – ich hingegen irgendwie schon.«
Ser Hassan verzog keine Miene.
»Sie wissen sicher, warum ich Sie sprechen wollte. Und ich hoffe, dass ich nach wie vor auf Sie zählen kann.«
Manley kratzte sich mit dem Lauf der Waffe leicht an der Schläfe.
»Hab es gehört. Santana ist also aus dem Spiel. Sein Ableben bedeutet sicher nichts Gutes.«
Ihr Gesprächspartner blickte leicht verärgert zur Seite.
»Ja, der Fehler sitzt regelrecht im System, nur haben wir derzeit keine wirklichen Anhaltspunkte. Es wäre also in unser aller Interesse, wenn Sie sich etwas umhören würden. Vielleicht munkelt man ja in der Unterwelt des Tri-Systems etwas, das uns helfen könnte.«
»Sie wollen also einen Namen? Arris wird garantiert einige Leute darauf ansetzen, mich inklusive. Gibt es sonst noch etwas von Interesse?«
»Ich übermittle Ihnen alle relevanten Daten und Sie haben unbegrenzten Zugang zum Datennetz.«
Die ehemalige Agentin wirkte etwas erstaunt.
»Und ich dachte, dass ich dieses Privileg nie abgegeben hätte... Traut man mir etwa nicht mehr?«
Ser Hassans Blick heftete sich an Manley.
»Mit unbegrenzt meine ich, dass Sie von mir aus auch Daten manipulieren können – insofern uns das weiter bringt. Aber tun Sie mir den Gefallen und teilen Sie mir mit, wenn Sie die Akten meiner Mitarbeiter bearbeiten. Und wenn es sich einrichten lässt, dann bringen Sie bitte Ihre Berichte auf direkten, also persönlichen Weg zu mir. Ich vertraue derzeit nur noch Ihnen.«
Hoppla, das war mehr als nur ein kleines Kompliment, Manley bedankte sich mit einem Kopfnicken.
»In Ordnung. Ach ja, eine kleine Frage noch...«
Hassans Blick schien wohl zu erraten, um welche Frage es der Dame ging, zudem verrieten ihre Hände nur zu gut, um was es ging – krampfhaft hielt sie damit die Waffe fest, als wollte sie diese um nichts in der Welt wieder hergeben.
»Ist schon gut, nehmen Sie das Teil ruhig mit. Aber machen Sie keinen Unsinn damit.«
Manley strahlte übers ganze Gesicht, sie verstaute die Waffe in einer kleinen Tasche, die sie mitgebracht hatte – allerdings erst nachdem sie ein kleines Stück Schokolade aus ihrer Rocktasche hervor gezaubert hatte und dieses dann in Sekundenschnelle seiner Bestimmung zukommen ließ. Man muss eben auch mal Prioritäten setzen können.
Und Süßes beruhigt die Nerven bekanntlich ungemein.

*

Die riesige Tasse Kaffee stand schon seit einer guten Stunde auf der Steuerkonsole, doch das Gespräch hatte wohl dafür gesorgt, das man das schwarze Getränk glatt vergessen hatte.
»Und Sie waren also tatsächlich dabei?«
Der angesprochene Mann zeigte sich ein wenig beleidigt.
»Ist schwer zu glauben, nicht wahr? Aber damals kam so gut wie keiner um die Mobilisierung des Militärs herum. Das waren schwere Gefechte damals um Petra, wir haben da draußen viele gute Leute verloren.«
Der Captain des Frachters musterte den Piloten im Ruhestand eingehend. Er selbst hatte seinerzeit nur die Berichte in den Medien verfolgen können, Petra war zur Sperrzone erklärt und danach abgeriegelt worden. Aber jetzt und hier bot sich für ihn die vermutlich einmalige Gelegenheit, die Geschehnisse aus der Sicht eines Beteiligten zu hören.
Allerdings war er skeptisch, viele der Details klangen in seinen Ohren recht unglaubwürdig. Angefangen von Gefechten gegen Kiowan und ominöse Söldner im Petra-System über Torpedos, die ohne Zielaufschaltung auf die Gegner gefeuert wurden... Bis hin zur Endschlacht, wie der Pilot es nannte. Und dass dieses letzte Gefecht natürlich über Anhur ausgetragen wurde. Obwohl – irgendein Gefecht musste es wohl dort tatsächlich gegeben haben, aber das die CIS Hand in Hand mit dem Clan kämpfen würde...
Nette Story. Wirklich nett, aber eben auch recht unglaubwürdig.
»Und was treibt Sie nun wieder nach Petra?«
»Pilotenschulung für die Sektorenmiliz. Die suchten ein paar Veteranen, da hab ich mich eben gemeldet. Okay, ist nicht unbedingt einfach, wieder dorthin zu fliegen. Aber Job ist Job. Und die Bezahlung ist nicht schlecht für so eine einfache Sache.«
Der Captain sah kurz auf seine Instrumente, dann wieder auf den Piloten.
»Noch eine halbe Stunde bis zum letzten Sprung.«
Er griff zur Tasse, nahm einen kräftigen Schluck und verzog anschließend das Gesicht. »Bäh, kalter Kaffee. Egal, Hauptsache ist, dass er wach hält.« Wieso klang das nur so beunruhigend?
»Nervös?«
Der Pilot grinste in Richtung des recht stämmigen Frachtercaptains.
»Nicht wirklich, aber ich war auch noch nie in der Nähe von Petra.«
»Aha, also der berühmte Sprung ins kalte Wasser. Keine Sorge, die Miliz ist angeblich recht stark vor Ort vertreten. Und Piraten gab es schon monatelang nicht mehr in diesem Sektor.«
»Mag sein, aber irgendwann ist es immer mit der Ruhe vorbei.«
Das Geräusch des sich öffnenden Schotts zog seine volle Aufmerksamkeit auf sich.
»Daddy? Darf Eugene sich unser neues Zuhause ansehen?«
Die Stimme seiner Tochter sorgte für ein sichtbar warmes Lächeln auf seinen Lippen.
»Wenn die Eltern von Eugene nichts dagegen haben.«
Ein kleines Stimmchen mischte sich ein.
»Das haben sie nicht, versprochen.«
Der Freund seiner Tochter stand wohl hinter dem immer noch offenen Schott, traute sich aber nicht, die Brücke zu betreten.
»Na komm schon rein. Ich habe ausnahmsweise mal nichts dagegen.«
Eugene steckte den Kopf durchs Schott.
»Wirklich? Ich bekomme Riesenärger mit meinem Vater...«
Lachend wandte sich der Captain ab.
»Junge, dein Vater kommt sicher nicht hierher – du musst ihm ja nicht unbedingt auf die Nase binden, dass du hier warst. Einverstanden?«
Der kleine Junge trat zögerlich ein, Anica nahm ihn kurzerhand an die Hand und zog ihn regelrecht in den Raum hinein. Neugierig sah sich Eugene um. So viele Schalter, Lichter, Monitore...
Der Vater seiner Freundin musste in seinen Augen unglaublich klug sein, wenn er alle diese Dinge bedienen konnte, ohne zuvor jemanden fragen zu müssen... »Wenn ihr wollt, dann könnt ihr gerne hier bleiben. Wir springen in ein paar Minuten und sind dann in Kürze im Petra-System, unserem neuen Zuhause.«
Beide Kinder gaben darauf keine Antwort, zu sehr zog sie die Faszination der Brücke in ihren Bann.
Etwa eine halbe Stunde später fiel der Frachter zum letzten Mal aus dem Hyperraum, nur wenige Minuten hatte der Flug mit Überlichtgeschwindigkeit gedauert. Vor den beiden Kindern auf der Brücke tauchten wieder die geliebten Sterne auf und ein winziger Planet wurde sichtbar. Er glänzte seltsam im Lichte des Systemsterns, tatsächlich aber war es nur die Reflektion des Glases der großen Kuppelstadt, die dieses helle Funkeln verursachte.
»Warum leuchtet Petra so?«
Anica brachte diese Frage rasend schnell über ihre Lippen, beinahe hätte sie sich mitten im Satz überschlagen.
»Dieser Ort heißt euch beide Willkommen. Er weiß eben ganz genau, dass ihr heute anreist.«
Der Pilot sah lächelnd auf die beiden Kinder, der Captain nickte ihm dankend zu, besser hätte er wohl auch nicht antworten können.
 
part 4

*

Interessanterweise hatte Deacan seine kleine Reisetasche nicht ausgepackt und fast schien es so, als hätte er geahnt, dass seine freie Zeit hier schneller beendet sein würde als es ihm lieb sein konnte. Tatsächlich aber entsprach das nur seinen alten Gepflogenheiten, denn er blieb nie für eine längere Zeit an einem Ort. Sein Leben fand in der Regel abwechselnd in Hotels und dem Cockpit seiner Duress statt.
Seine Partnerin saß auf der Bettdecke, sie hielt ihr MACS in den Händen und schien recht beschäftigt zu sein. Tatsächlich überprüfte sie nur die aktuellen Kopfgeldlisten, etwas Geld konnte man schließlich immer gut gebrauchen und man wollte ja auch nicht aus der Übung kommen. Auf den ersten Blick ließ sich nichts Lukratives entdecken, ein paar Spinner aus der Region rund um Crius waren die letzten Neuzugänge – es war ja schön und gut, dass diese Kids genug Geld hatten, um sich ein paar alte Jäger zu kaufen, aber mussten sie auch noch Zielübungen mit Frachtschiffen machen? Ein Schiff vom Typ Gea Transit stand bereits auf der Verlustliste. Die Miliz reagierte überraschend schnell und setzte auf die Jugendlichen eine Prämie aus – wer wollte, der konnte nebenbei neunhundert Credits einstreichen.
Für Deacan wäre diese Summe eher uninteressant gewesen, es gab aber auch genügend Neulinge im Söldnergewerbe, die hierbei ihr Glück versuchen würden. Venice deaktivierte ihren kleinen elektronischen Helfer und ihr Blick wanderte zu Deacan hinüber. Der setzte gerade seinen Blaster wieder zusammen, als letztes Teil setzte er die Energiezelle wieder in das Griffstück ein und ein lautes und irgendwie unwirklich anmutendes Geräusch begleitete diesen Vorgang.
Zufrieden lächelte der Söldner beim Blick auf die Energieanzeige seiner Waffe, die stand bei etwa fünfundneunzig Prozent und würde für etwa zwanzig Minuten intensives Dauerfeuer ausreichen.
»Und? Wo setzen wir an?«
Venice sah Deacan mit großen Augen an.
»Wir sollten uns zuerst mit Arris treffen – vielleicht weiß er schon etwas mehr. Außerdem sollten wir das alles irgendwie versuchen zu koordinieren, ich will nicht anderen Leuten von Arris im Weg stehen. Unserer lieben Freundin Manley zum Beispiel.«
Ach ja, Manley. Die liebreizende Dame, die noch vor kurzer Zeit in den Reihen der CIS unter Ser Hassan gedient hatte, stand jetzt gewissermaßen im anderen Lager und zumindest sie wusste mittlerweile, dass das Söldnerpärchen noch immer quick-lebendig und im aktiven Dienst war. Deacan erinnerte sich gerne an das erste Wiedersehen mit Sera Manley seit der Ausstellung seines Totenscheins. Ser Arris hatte ihr schon sehr frühzeitig mitgeteilt, dass die Nachrichten über Deacans Ableben nichts weiter als eine Falschmeldung waren. Doch bis Manley erneut auf den Söldner traf und man sich von Angesicht zu Angesicht gegenüber stand, vergingen einige Monate.
Tatsächlich ging dieses Wiedersehen nicht unbedingt friedlich über die Bühne, vielmehr musste man der rothaarigen Dame mit dem feurigen Charakter und dem ungezügelten Appetit den süßen Hintern retten. Manley war urplötzlich verschwunden – einige ehemalige Mitglieder der White Wolfs Söldnergilde hatten die Agentin aufgespürt und ihr dann wirklich übel mitgespielt. Das plötzliche Auftauchen des tot geglaubten Freundes nebst kurzhaarigem Anhang hatte für mehr als nur ein paar freudige Worte gesorgt. Der Söldner musste letztlich zugeben, dass dieses Treffen nach langer Zeit sogar etwas sehr sentimentales an sich hatte.
Er hatte also tatsächlich Freunde...
Das MACS ging online, der Privateer nahm es routiniert vom Mantelkragen. Auf dem kleinen Display tauchte das Gesicht von Ser Arris auf und man sah deutlich in seinen Augen eine Mischung aus Verärgerung und Hilflosigkeit. »Ich höre?« Deacan machte es kurz, vermutlich wollte er Ser Arris höfliche Floskeln ersparen.
»Wir sind auf dem Weg zu Ihnen, Ankunftszeit in etwa vier Stunden. Die genauen Koordinaten bekommen Sie noch.«
»Sehr schön, damit nehmen Sie uns einen Weg ab. Wir wollten sowieso zu Ihnen. Gibt es schon weitere Informationen?«
Arris schüttelte energisch den Kopf.
»Nein, die CIS macht derzeit alle Kanäle dicht, ich kann es sogar verstehen. Trotzdem sollten auch wir bei Hassan vorstellig werden – dank unseres Informationsnetzes können wir mit Sicherheit hilfreich sein.«
Deacan warf einen kurzen Blick auf seine Partnerin.
»Nehmen Sie es mir bitte nicht übel, aber ehrlich gesagt bin ich sogar ein wenig dankbar über die Beseitigung des Senators. Wer weiß, möglicherweise wäre ein Prozess gegen ihn mit einem eher unbefriedigenden Ergebnis ausgegangen. Und dann wäre wirklich alles umsonst gewesen. Ich traue unserer Rechtsprechung nur bedingt über den Weg.« Arris lächelte ein wenig.
»Ich verstehe. Hoffen wir einfach, dass es keine weiteren Folgen geben wird – vielleicht war es einfach nur ein verspäteter Racheakt.«
»Sie sagen es, hoffen ist derzeit alles, was wir tun können.«

*

So toll und lecker das Frühstück auch war, das Ser Neils spendiert hatte, so wenig sorgte es letzen Endes dafür, dass man wach blieb. Die Nacht war ohnehin viel zu kurz gewesen, von daher war es nur verständlich, dass sowohl Jenna wie auch Monica wieder ins Bett kletterten und noch einige Stunden verschliefen.
Als die beiden Nachtschwärmer sich endlich vom Kissen erhoben, warf die Sonne schon wieder lange Schatten in die Straßen von Anhur. Anstelle eines Weckers hörte man ein herzhaftes und vor allen lautes Gähnen, das von Monica kam. Etwas verschlafen blinzelte sie durch die Augenlider, langsam gewannen die Umrisse des Inventars ihres Zimmers wieder an Schärfe.
»Süße?«
»Mhm... Was ist denn?«
»Lust auf die Reste von heute morgen? Es müssten noch ein paar Croissants da sein und vielleicht auch noch ein wenig Obst.«
Aha, Monica verspürte also schon wieder Hunger. Für Jenna war das Thema Essen jedoch eher nebensächlich.
»Lang ruhig zu, ich mag nichts haben. Außer noch einer kleinen Runde Schlaf...«
Monica stand etwas unsicher auf und rieb sich den Schlaf aus den großen Augen. An dem kleinen Tisch angekommen setzte sie sich hin und griff sich mit flinken Fingern ein Stückchen Ananas vom Obstteller, das sofort in ihrem Mund verschwand. Nachdenklich kaute sie darauf herum, während ihr Blick einmal quer durch das Chaos wanderte und dann an dem kleinen Gerät hängen blieb, das sie in der vergangenen Nacht von dem Söldner erhalten hatten.
Dieses kleine Teil, Ding oder wie auch immer man es bezeichnen wollte, lag lose auf Jennas Handtasche. Mit Hilfe eines MACS hätte man sicher herausfinden können, was es eigentlich war... Und vielleicht wäre dann ein kleiner preislicher Aufschlag möglich gewesen – immerhin war es nicht gerade ungefährlich zum Beispiel neue oder gar gestohlene Technologie durch die Gegend zu tragen. Die CIS kannte in solchen Fällen meistens keinen Spaß.
Aber was soll’s? Irgendwann am heutigen Abend würde dieser Typ schon wieder auftauchen und man selbst könnte sich dann ein recht amüsantes Ende der Nacht gönnen. Und mal ehrlich, gab es etwas Wichtigeres im Leben? Monica griff ein weiteres Mal zum Obst, dann stand sie kurzerhand auf. Sie wollte sich dieses seltsame, kleine technische Etwas doch noch ein wenig genauer ansehen...
Gerade wollte Monica ihre zierliche Hand nach dem Gerät ausstrecken, als mit Jennas Stimme wieder etwas Leben ins Zimmer kam und ihre Aufmerksamkeit binnen weniger Sekunden in andere Bahnen gelenkt wurde.
»Du? Tust du mir einen Gefallen? Bist du bitte so lieb und lässt mir warmes Wasser in die Wanne ein? Dann hätte ich doch tatsächlich einen Grund aufzustehen.«
Monica holte tief Luft, dann aber setzte sie ein Lächeln auf.
»Einverstanden. Und ich komme sogar mit.«
Sie wandte sich dem Badezimmer zu, blieb dann aber in der Tür stehen. »Ich sorge fürs Wasser – du für einen Kaffee.« Jenna hob müde den Kopf.
»Aha. Willst wohl den Geschmack von Neils Kakao loswerden, oder?«
Ein kleines Kopfnicken kam als Bestätigung zurück.

*

Zentimeter für Zentimeter schob sich der große Frachter immer näher an die lange, stählerne Andockschleuse heran, kleine Korrekturtriebwerke sorgten dabei für die notwendigen Richtungsänderungen. Petra besaß zwar einen riesigen Hangarkomplex, aber dieser Transporter war einfach gesagt für diese Hallen viel zu groß. Zwei helle Scheinwerfer ober- und unterhalb der Schleuse strahlten den Frachter an und tauchten dabei das Metall des Schiffes in bizarre und unwirkliche Farben.
Das ganze Schiff wirkte plötzlich wesentlich sauberer als es tatsächlich war...
»Automatisches Landesystem aktiviert, Kontrolle der Schiffssteuerung übernommen.«
Die Worte des diensthabenden Offiziers im Kontrollzentrum von Petra klangen dumpf aus den Lautsprechern auf der Frachterbrücke. Das Gesicht des Captains zeigte deutlich seine Anspannung – er gab nur ungern die Kontrolle seines Schiffes aus den Händen, aber beim Anflug auf die Andockschleusen gab es absolut Null Spielraum für Fehler. Ein leichter Ruck ging durch das Schiff, zeitgleich hörte man ein lautes Kratzen, es war als ob man Metall auf Metall entlang ziehen würde – man hatte die Endposition erreicht. »Halteklammern gesichert, Schleuse gesichert, Triebwerke offline. Willkommen auf Petra.«
»Also gut, das war es dann – fürs erste.«
Der Pilot der Miliz, der die gesamte Zeit über mit auf der Brücke des Frachtschiffes gestanden hatte, nickte dem Kommandanten des Schiffes anerkennend zu. Der lächelte nur milde zurück – dies war nicht sein Verdienst, vielmehr die Glanzleistung unzähliger Techniker und Computerspezialisten, die allesamt irgendwo in einer kleinen Kommandozentrale hoch über Petras’ Kuppelstadt saßen und dort ihren Dienst versahen.
Anica und Eugene, die beide das Andockmanöver mit stockendem Atem mitverfolgt hatten, hielt jetzt nichts mehr auf der Brücke. Beide rannten zur Schleuse, sie schoben sich regelrecht an den anderen Passagieren vorbei. Dies hier war Neuland für beide...
»Ser? Gehören die Kinder zu Ihnen?«
Eugenes Vater hob kurz den Blick, ein Techniker des Frachters, gekleidet in einem nicht gerade sauberen Overall, sah ihn mit fragendem Blick an.
»Zumindest gehören mir fünfzig Prozent davon, aber warum fragen Sie?«
Der Techniker wischte seine Hand, auf der ein dünner, schmieriger Ölfilm haftete, am Stoff seiner Arbeitsbekleidung ab.
»Nun ja, es wäre klug, die beiden nicht so herumlaufen zu lassen. Es gibt immer noch einige Sicherheitsprobleme. Hab das aus den News erfahren.«
»Ach so? Keine Sorge, ich glaube mit Sicherheit sagen zu können, dass die Jugend von heute wesentlich cleverer ist, als wir es seinerzeit waren. Aber trotzdem, Danke für den Hinweis.«
Innerlich stieg jetzt aber doch etwas Nervosität in dem, doch noch recht jungen Vater, auf. War es wirklich klug, gerade hierher zu kommen?
Ein lautes Zischen riss ihn aus seinen Grübeleien. Die Schotts wurden geöffnet, Millimeter um Millimeter schoben sich die tonnenschweren Tore nach außen vor und gaben dabei mehr und mehr den Blick auf den langen und dunklen Verbindungstunnel zur eigentlichen Kuppelstadt von Petra frei.
Die Luft, die in den Frachter strömte, war angenehm kühl und schmeckte nicht so abgestanden wie die ebenfalls künstliche Atemluft im Frachter.
»Willkommen auf Petra. Bitte halten Sie Ihre MACS’ oder ID-Cards zur Identifikation bereit und folgen Sie den Anweisungen des Personals. Wir wünschen Ihnen einen angenehmen Aufenthalt.«
Die Begrüßung aus den Lautsprechern im Gang klang warm und angenehm freundlich – und sie passte irgendwie so gar nicht zu dem immer noch pechschwarzen Korridor. Auch Eugene war für einen Moment unsicher, instinktiv suchte er den Blickkontakt zu seinem Vater. Dann aber blitzten die ersten Leuchtstoffröhren auf und der Tunnel verlor binnen Sekunden seine bedrohliche Aura.
»Na dann mal los.«
Eugenes Vater nickte seinem Spross aufmunternd zu, der kleine Junge griff flugs in seine Hosentasche und zog seine ID-Card hervor. Dann stiefelte er einfach drauflos, in Richtung eines weiteren Schotts, das sich am anderen Ende des Tunnels befand und das sich ebenfalls langsam öffnete. Einige Techniker kamen dahinter zum Vorschein, einer von ihnen nahm die ID-Card von Eugene lächelnd entgegen.
Ein kurzer Datenabgleich mit einem MACS und Eugene erhielt seine Card zurück.
»Willkommen. Dahinten geht es zum Fahrstuhl, die neuen Wohnquartiere sind auf Ebene Vier, Fünf und Sechs. Alles Weitere werden dir sicher deine Eltern noch zeigen.«
Auf Eugenes Gesicht fand sich ein überbreites Grinsen wieder, laut und deutlich sagte er Danke, dann marschierte er etwas unsicher weiter und betrat eine größere Halle, die wohl auch als Lagerraum diente. Sein Blick glitt nach oben, in die Deckenkonstruktion waren einzelne, größere Fensterflächen eingelassen, durch die einzelne Sterne leuchteten. Mit großen, klugen Augen sah Eugene nach draußen.
»Mein neues Zuhause...«
 
part 5

*

Standardration Nummer Vier.
Hinter dieser einfachen Bezeichnung verbarg sich ein Mischmasch aus Kartoffeln, klein geschnittenem Fleisch und etwas, das zumindest vom Aussehen her Gemüse sein könnte.
Mit skeptischem Blick nahm der Brückenoffizier seinen Teller entgegen. Das hier roch nach Nichts und es würde wohl auch mit Sicherheit nach Nichts schmecken. Immerhin machte es satt – und wer wollte bekam sogar mehr als reichlichen Nachschlag davon.
Der Offizier blickte über seinen Tellerrand auf die langen Sitzreihen, dann entdeckte er einen freien Platz, noch dazu direkt neben seinem Vorgesetzten. Schnellen Schrittes erreichte er seinen Stuhl, schob den Teller hastig auf den Tisch und setzte sich dann recht geräuschvoll hin. Sein Tischnachbar verzog nur kurz das Gesicht und man bekam fast den Eindruck, als wäre er alles andere als angetan von dem Gedanken an das Gespräch, das sich unter Garantie in den nächsten Sekunden entwickeln würde.
»Was ist denn das wieder für ein Fraß?«
»Sieht aus wie immer, schmeckt auch so wie immer. Also, wo ist das Problem?«
Ser Larsen mühte sich ein kleines Lächeln ab. Dann holte er tief Luft. »Übrigens, zwei deiner flimmernden Displays werden noch heute ausgetauscht. Zufrieden?«
Ein einfaches Kopfnicken war alles, was als Antwort zurückkam. Seltsam, anscheinend hatte sein Kollege etwas wesentlich wichtigeres auf den Herzen.
»Sagen Sie, gibt es schon etwas Neues von dieser Hackerattacke?«
Ser Larsen warf einen kurzen Blick auf seinen Gesprächspartner, er war überrascht – sein Kollege hatte doch tatsächlich einmal die höflichere Anrede „Sie“ verwendet.
»Keine Chance. Das Signal verliert sich irgendwo in der Nähe der nächsten Sprungboje. Wahrscheinlich befand sich der Sender auf einem Schiff oder einer kleinen Fähre.«
Er hielt kurz inne, dann fuhr er fort. »Morgen kommt ein Team von Hades zur genaueren Untersuchung hierher, vielleicht kommen die ja weiter als wir und können sich einen Reim darauf machen.«
Ser Larsen hörte seinen Kollegen tief Luft holen, dann bemerkte er, dass dieser sein MACS zu ihm hinüber schob. »Und? Was soll ich damit?« Larsen stocherte mit der Gabel in den Kartoffeln auf seinem Teller herum.
»Nur zur Info – das ist schon einmal passiert.«
Ungläubig sah Larsen seinen Tischnachbarn an.
»Wie bitte?«
»Ist zwar schon eine ganze Weile her, aber... Hier, falls Sie das interessiert.«
Ser Larsen legte die Gabel aus der Hand, dann griff er nach dem MACS. »Vor etwa sechs Jahren – ich war damals im zweiten Ausbildungsjahr auf der Akademie – gab es mehrere Einbrüche in interne Sicherheitsnetze auf mehreren Stationen. Diese Aktionen ähneln unserer Situation hier sehr stark, immer wurden Daten bezüglich des Planeten Hades herunter geladen.«
»Und wie bekamen bitte Sie dann Wind davon? Ich meine, die Führungsspitze der CIS wird sicherlich nicht damit hausieren gegangen sein, oder?«
»Ich war damals der Botenjunge. Okay, es war vielleicht nicht unbedingt richtig, meine Nase in die Berichte zu stecken, aber sagen wir einfach, ich war zur richtigen Zeit am richtigen Ort.«
»Das erklärt aber immer noch nicht, woher Sie diese Daten hier haben.«
»Sie werden lachen, aber die sind offen zugänglich! Zumindest für jemanden mit meiner Sicherheitsstufe.«
Na also, endlich eine vernünftige Erklärung. Larsen überflog kurz die Daten auf dem Display, dann legte er das Gerät wieder auf den Tisch.
»Wie gesagt, warten wir einfach ab, was unsere Leute von Hades dazu sagen.«

*

»Und seit wann saßen Sie vor den Monitoren Ihrer Station?«
Ser David Hassan musterte den jungen Soldaten eingehend. Er bemerkte natürlich die große Nervosität des Mannes, was aber auch verständlich war – dies hier war eine offizielle Anhörung und das Thema war recht heikel.
Jemand hatte völlig versagt, es lag nun an Ser Hassan und seinem Team, die betreffenden Personen zu finden und möglichst schnell aus den Dienst zu entfernen. Und dieses Gespräch hier war inzwischen das fünfundzwanzigste Verhör zu diesem Thema unter Hassans persönlicher Leitung, bislang blieb jedoch jeglicher Erfolg aus.
»Ser, meinen Dienst habe ich gegen sechzehn Uhr angetreten. Das steht auch in den Akten.«
Offenbar versuchte der Soldat mit den letzten Satz seine Glaubwürdigkeit zu unterstreichen, Hassan jedoch ließ diese Bemerkung recht kalt. Für ihn waren Fakten entscheidend, der Rest war nur schmückendes Beiwerk, mehr nicht. Hassan erhob sich von seinem Platz und begann vor seinem Schreibtisch mit langsamen Schritten auf und ab zu gehen.
»Berichten Sie mir bitte von Ihrem Dienst am betreffenden Tag.«
Der Soldat hob den Blick.
»Es war ein recht ruhiger Tag, Ser. Mir oblag die Aufsicht für die Bereiche Vier bis Neun, das sind insgesamt fünfundzwanzig Zellen, davon waren einundzwanzig besetzt.«
»Und unser Senator war die ganze Zeit in seiner Zelle?«
»Ja Ser. Er hatte nur einmal kurz Besuch, sein Anwalt war da, so wie jeden Tag, aber der verließ die Zelle nach einer Stunde wieder. Danach war Ruhe.«
Hassan blieb stehen, sein Blick schien sich im Raum zu verlieren.
»Gab es technische Probleme? Stromschwankungen? Oder etwas in der Art?«
Der Soldat schüttelte den Kopf.
»Nein Ser. Alles verlief völlig reibungslos. So wie immer.«
So wie immer... Wenn Hassan einen Satz nicht hören wollte, dann war es wohl mit Sicherheit dieser hier. Wenn alles so wie immer verlaufen wäre, dann gäbe es jetzt keinen toten Senatoren. Und dann gäbe es keinen Untersuchungsausschuss in drei Tagen. Der Senat des Tri-Systems wollte Antworten, keine weiteren Fragen. Ser Hassan wusste nur zu gut, dass jetzt auch sein Kopf in der sprichwörtlichen Schlinge steckte. Und mit jeder Stunde zog sich diese immer weiter zu...
»Hören Sie, ich möchte dass Sie die gesamte Elektronik von Santanas Zelle auseinander nehmen. Und wenn es die ganze Nacht dauert – aber finden Sie heraus, wie es möglich war, ein falsches Signal in unser System zu schleusen.«
Der Soldat glaubte sich verhört zu haben.
»Ich Ser?«
Hassan nickte müde.
»Ja Sie. Sehen Sie es einfach von dieser Seite: wenn ich gehen muss, dann mit Sicherheit auch Sie. Und vermutlich der gesamte Stab hier. Verstanden?«
Der Soldat nickte.
»Ja Ser. Ich mache mich unverzüglich an die Arbeit...«
Er unterbrach seinen Satz kurz. »...wenn Sie keine weiteren Fragen mehr haben.«
Fragen? Hassan hatte Tausende davon im Kopf.

*

Zwei hohe, schlanke Gläser standen auf dem Tisch, jedes hatte eine bläulich schimmernde Flüssigkeit zum Inhalt. Hielt man die Nase darüber erkannte man sofort den Hauptbestandteil: Alkohol.
Der Rest setzte sich wohl aus Farbstoffen und jeder Menge Zucker zusammen.
Mit ihren langen, knallrot lackierten Fingernägeln trommelte Monica eher lustlos auf der schwarzglänzenden Tischplatte herum, immer gut einen halben Takt der leisen Hintergrundmusik hinterher.
Vor einigen Wochen hatte sie zusammen mit ihrer Freundin Jenna diese Bar entdeckt und gemeinsam hatte man dann entschieden, dass man hier wohl so etwas wie einen Ruhepol gefunden hatte.
Der Großteil der Gäste waren Privateers, die hauptsächlich für die Oberschicht des Planeten Anhur unterwegs waren und hier in aller Ruhe ihren Dienstschluss mit einem Glas Bier besiegelten, hinzu kamen einige Leute von der Miliz. Der Name dieser Örtlichkeit war im wahrsten Sinne des Wortes Programm: Silent Hour.
Jenna griff zum Glas und nippte kurz an ihrem Cocktail. Fast schon routiniert ließ sie dabei ihren Blick quer durch den Raum wandern. Potentielle Kunden gab es hier zwar reichlich, aber eigentlich war das – zumindest für den Moment – eher nicht von Interesse. Wie Anfangs erwähnt war das hier der Ruhepol und dabei wurde auch die Arbeit ganz hinten angestellt. Jenna bemerkte natürlich die Langeweile ihrer Freundin.
»Süße? Sag mal, steht deine Idee mit dem Kurztrip nach Janus IV immer noch?«
Monica vergaß ihr Trommelspiel für den Augenblick.
»Nun ja, der letzte Monat war recht einträglich, von daher spricht eigentlich nichts dagegen. Nur über den Zeitpunkt müssten wir uns noch einig werden. Ich bleibe allerdings dabei – wir sollten jetzt fliegen. Wenig Touristen, viel Platz am Strand, vernünftige Preise in den Bars.«
Jenna verzog das Gesicht.
»Ruhe hab ich hier aber auch zur Genüge. Und wegen der Preise... Hey! Wo ist das Problem? Wir beide wissen doch wohl am besten, wie man auch ohne Geld in der Tasche einen warmen Schlafplatz bekommt. Oder?«
Na ganz toll. Das sollte eigentlich ein Urlaub werden und Monica hatte nicht vor, ihre Arbeit mitzunehmen. Der Blick von Jenna allerdings sprach da eine ganz andere Sprache.
Silent Hour – Stille Stunde. Monica wollte sich nicht streiten, sie beschloss einfach, es ihrer Tischnachbarin gleich zu tun und setzte ebenfalls ein bezauberndes Lächeln auf ihre vollen Lippen. Schweigen und Lächeln, so kam man oftmals am besten über die Runden.
Jennas Aufmerksamkeit wurde nur wenige Sekunden später in Richtung der Eingangstür gelenkt, dort tauchte eine Gestalt auf, auf die man eigentlich gewartet hatte. »Augen auf ein Uhr, Süße! Da kommt unser Gast von letzter Nacht.«
Jenna blinzelte ihrer Freundin zu, dann stand sie auf und ging dem jungen Söldner ein kleines Stück entgegen. Der junge Mann schien genau zu wissen, dass sich seine flüchtige Bekanntschaft der letzten Nacht hier aufhalten würde, schnurstracks und ohne den anderen Gästen der Bar auch nur einen einzigen Blick zu widmen, ging er auf den Tisch von Jenna und Monica zu.
Seltsam...
Hatte er die beiden etwa beobachten lassen? Jenna griff in ihre kleine, blutrote Handtasche, sie fand auch sofort den Gegenstand, den sie ja für den Söldner aufbewahren sollte.
Sie wollte gerade ihre Hand in Richtung des Söldners ausstrecken, als sie plötzlich einen kleinen Stoß in die Seite verspürte. Das kleine Gerät entglitt ihren Fingern und mit einem metallisch klingenden Laut fiel es zu Boden. Leicht verärgert sah sie nach links, dort stand ein Mann in Uniform, der sie einfach nur aus Versehen angerempelt hatte.
Der Uniformierte bückte sich sofort nach dem Gerät – er wollte sein kleines Missgeschick umgehend wieder gut machen.
»Tut mir aufrichtig Leid, verzeihen Sie bitte... Ich habe wohl geträumt.«
Er erhob sich, in seiner Handfläche wirkte das Teil noch winziger als es ohnehin schon war. Der Söldner, dem das alles natürlich nicht entgangen war, blieb wie angewurzelt stehen.
»Nein! Nicht anfassen! Nicht Sie...«
Sein Satz kam jedoch Bruchteile einer Sekunde zu spät.
»Hier bitte. Und nochmals...«
Doch weiter kam der Mann in Uniform gar nicht. Mitten im Satz stockte er, sein Gesicht war plötzlich starr...
Dann sank er langsam zu Boden und sein Körper begann sich wie in Krämpfen zu winden.
Jennas Gesicht spiegelte jetzt das pure Entsetzen wider, das sie vor sich auf den Boden sah. Ein weiterer Beamter der Miliz stürzte sich regelrecht in das Geschehen, er wollte nur seinen Kollegen zu Hilfe eilen.
Nur schien der Söldner irgendwie etwas dagegen zu haben.
»Nicht anfassen! Bleiben Sie da stehen, sofort!«
Der Beamte glaubte sich verhört zu haben, als er dann aber in Richtung des Söldners sah, blickte er in die Mündung eines Blasters. »Ich will nur mein Eigentum zurück, dann werde ich gehen und alles ist bestens. Keiner kommt mehr zu Schaden. Verstanden?«
Der Söldner zeigte auf Jenna. »Du – los, gib mir das Gerät wieder in die Hand.«
Aber Jennas Blick blieb auf den Boden fixiert, dort lag der Beamte und er atmete nicht mehr. Sein Blick war starr, seine Handinnenfläche war rötlich verfärbt. Und das Gerät des Söldners, das dort noch immer lag, schien leicht zu glühen oder zu schimmern. »Na los doch. Dir kann wirklich nichts passieren!«
Aber Jenna hatte Angst. Angst vor dem Gerät, Angst vor dem Söldner, Angst vor dem Toten. Unwillig sah sie auf ihren Auftraggeber.
Dann ging alles rasend schnell.
Ein Schuss löste sich aus einer Waffe, man sah das Energieprojektil quer durch den Raum jagen, es streifte die Schulter des Söldners. Dieser stieß einen schmerzerfüllten Schrei aus, seine Waffe fiel zu Boden, mehrere Söldner stürzten sich regelrecht auf den Mann, sie rissen ihn zu Boden und versuchten ihn festzuhalten.
Langsam, Schritt um Schritt ging Jenna wieder zu ihrem Tisch. Dann setzte sie sich wieder auf ihren Stuhl und Tränen liefen ihr übers Gesicht.
 
part 6

*

Deacan setzte das Headset auf und rückte es zurecht. Zeitgleich gingen die Systeme seines Jägers online und die ruhige Stimme des Bordrechners meldete sich zu Wort.
»Startdiagnose abgeschlossen, alle Systeme online. Bereit zum Start.«
»Danke, Danni.«
Der Söldner warf einen kurzen Blick nach draußen, zu seiner linken Seite stand die kleine Shaman von Venice bereits mit laufenden Triebwerken. Seine Partnerin hob den Daumen, nur Bruchteile einer Sekunde später hoben beide Jäger ab und gewannen rasch an Höhe.
Das Söldnerpaar hatte etwa eine halbe Stunde zuvor per MACS die genaue Position der Dream erhalten, dem persönlichen Flaggschiff Ser Lev Arris und Aushängeschild des Clans.
Verständlicherweise wollte der Clanchef seinen Zerstörer nicht direkt im Orbit von Janus IV parken – nach wie vor gab es im Tri-System genügend Leute, die gerne ein paar Raketen oder Geschützsalven auf den Clan abfeuern würden und möglicherweise dafür sogar noch das eine oder andere offene Kopfgeld kassieren würden.
Etwa zwei Minuten nach dem Start hatte man den Orbit des Planeten verlassen, direkt voraus lag jetzt eine der vielen Einflugschneisen ins System. Hier wimmelte es normalerweise nur so von Jägern verschiedenster Klassifikationen, Frachtern und Milizjägern.
Jetzt allerdings, während der Wintermonate von Janus IV, war es verhältnismäßig ruhig. Ein paar Frachter kamen in Sichtweite, Typ Gea Transit. Diese kleinen Maschinen dienten in der Regel zum Transport von Gütern, die möglichst schnell von A nach B geflogen werden mussten. Die fehlende Bewaffnung machten sie einfach mit ihrer Geschwindigkeit wett, man musste schon arg am Limit fliegen, um dem Tempo gewachsen zu sein. Viele Frachterpiloten modifizierten auch gerne diese Babys, indem sie zusätzliche kleine Triebwerke anbrachten und damit die Wendigkeit enorm erhöhten. Allerdings – echtes Geld konnte man mit diesen Frachtern eher nicht machen, vor allem Dank des winzigen Laderaums.
Deacan erhöhte die Reichweite seines Radars, denn auch wenn die nähere Umgebung einen friedlichen Eindruck machte, wusste man nie was sich abseits des Weges abspielte. Bingo... »Venice, Ärger im Anflug. Entfernung etwa Neunhundert. Wir sollten mal einen Blick riskieren.«
Auf eine Antwort musste der Privateer nicht lange warten.
»Verstanden, Kurs liegt an, Waffen in Bereitschaft.«
Beide Piloten schalteten kurz die Nachbrenner ihrer Maschinen hinzu, man verkürzte damit erheblich die Zeitspanne bis zum Abfangen des „Ärgers“, um den Söldner einmal zu zitieren. Noch bevor man den möglichen Gegner überhaupt sah, erfassten die Sensoren der kleinen Jagdraumschiffe das eigentliche Geschehen direkt voraus. Zwei Jäger, beide vom Typ Skull und zum Piratenclan der Jincilla gehörend, waren intensiv damit beschäftigt, einen Ilia-Frachter lahm zu legen.
Merkwürdig... In den letzten Wochen und Monaten hatten die Piratenclans nie in unmittelbarer Nähe eines Planeten agiert, man versuchte vielmehr sein Glück vor den Sprungbojen der großen Raumbasen. Dort gab es eigentlich immer etwas zu holen und vor allen Dingen kosteten diese Scharmützel nur selten Menschenleben, meist waren recht schnell Jäger der Miliz vor Ort und man nahm umgehend die Rettungskapseln der abgeschossenen Frachter in Schlepp. Warum ging man jetzt wieder das Risiko einer direkten Konfrontation ein? Selbst wenn Deacan und Venice hierbei nicht eingreifen würden, wären trotzdem innerhalb von wenigen Minuten etliche Jäger der Miliz vor Ort.
Allerdings – die Skulls hier waren extrem schnell und wendig und stellten somit eine wahre Herausforderung dar, insbesondere für die Piloten der Miliz.
»Venice? Kannst du mich in den Funk der beiden Clowns einklinken?«
Für einen Moment herrschte Stille im Headset.
»Kein Problem, die Verbindung steht.«
Der Privateer holte kurz tief Luft und legte sich ein paar nette Sätze zurecht, um damit eventuell etwas Zeit schinden zu können. Und Zeit konnte vor allen Dingen die Besatzung des Frachters gut gebrauchen, man war den Skulls beim besten Willen nicht gewachsen.
»Darf ich die Herrschaften mit dem Totenkopf am Schiffsrumpf kurz stören? Ich möchte Ihnen dringend die Empfehlung geben, Ihren Angriff einzustellen und das System zu verlassen.«
Statt einer Antwort gab es eine Rakete, die man direkt in die Richtung der Söldnerjäger abschoss. Das RTS der Duress hatte keine Probleme damit, diese Botschaft zu neutralisieren. »Nette Zeitgenossen, wirklich nett. Aber okay, wenn sie nicht reden wollen...«
Venice drosselte den Schub ihrer Maschine etwas und ließ sich hinter ihren Partner zurück fallen um für Rückendeckung zu sorgen. Deacan hatte seinen Jäger mittlerweile in Geschützreichweite gebracht. Er hoffte inständig, dass die Piraten einfach Fersengeld geben, wenn sie erst einmal begreifen würden, was der Söldner unter den Tragflächen seiner Maschine montiert hatte. Einer der ersten Salven aus den Kravenlasern der Duress entging eine der Skulls nur knapp – und tatsächlich, der Pilot drehte umgehend ab und brachte einen gehörigen Abstand zwischen sich und die Söldner. Der zweite Pilot wollte aber offensichtlich ein wenig mit den Neuankömmlingen spielen.
Die Skull flog frontal auf Deacans Duress zu, der Pilot feuerte einige Schüsse ab, dann zog er den Jäger steil nach oben – und er tat dies alles mit atemberaubender Geschwindigkeit, weder die Duress noch die Shaman waren imstande diesen Manöver zu folgen.
Leicht verärgert sah Deacan dem Piraten hinterher, er wusste nur zu gut, dass dieser leicht in eine günstige Schussposition kommen würde, vermutlich würde er sich hinter die Duress setzen. Gedacht, gesagt, getan... Die Skull vollführte einen einfachen Looping und keine zwei Sekunden später hatte der Privateer die Maschine an seinem Heck zu kleben. Allerdings... Vorsicht gehörte eben auch zur Fliegerei und Deacan setzte einfach darauf, dass der Skullpilot seine vermeintliche Überlegenheit auch ausspielen wollte. Ein leichter Druck auf einen Auslöser am Steuerknüppel der Duress und drei kleine Minen lösten sich vom Heck des Jägers.
Und die Skull? Die war zu schnell um ausweichen zu können, die Explosionen der kleinen Sprengstoffpäckchen rissen den Jäger buchstäblich in winzige Stücke.
Zufrieden drehte der Söldner ab, die zweite Skull hatte mittlerweile direkten Kurs auf eine nahe Sprungboje genommen, offenbar war dem Piloten sein Leben wesentlich mehr wert als seinem Kollegen.

*

Der Makler hatte wirklich nicht zuviel versprochen, als er vor einigen Tagen das neue Wohnquartier beschrieben hatte. Die Räume waren groß und angenehm hell gestaltet, das Inventar war vollkommen neuwertig, allein die Küche war ultramodern.
Kurz gesagt, auf Crius oder Anhur hätte dieses Quartier mindestens das fünf- oder gar sechsfache gekostet.
Hier auf Petra hingegen gab es diesen kleinen Luxus zum wahren Spottpreis, aber irgendwie musste man ja wieder Leute auf den Planeten locken. Eugenes Eltern waren jedenfalls begeistert, als sie zum ersten Mal durch die Eingangstür in ihr neues Reich eintraten.
Eugene hingegen war an etwas ganz anderem interessiert.
Er hatte nur einen kurzen Blick in sein zukünftiges Zimmer geworfen, es als „ganz nett“ bezeichnet und war dann flugs wieder verschwunden. Anica wartete draußen und somit gab es für den Jungen kein Halten in den neuen vier Wänden mehr. Zudem war die Wohnung der Eltern seiner großen Freundin ja auch viel, viel wichtiger. Eugene musste ja schließlich auch genau wissen, wie er am schnellsten genau dorthin gelangen konnte.
Das Quartier von Anicas Familie lag etwa einen halben Kilometer Luftlinie von Eugenes neuem Heim entfernt, der Junge brauchte gewissermaßen nur einen langen Korridor entlang gehen und dann die Quartiernummer Vier-Vier-Drei suchen. Nichts war einfacher als das.
Und so kam es, dass beide Kinder, anstatt ihre Taschen auszupacken, still und leise verschwanden.
Etwa eine gute Stunde später tauchte Eugene aber wieder auf, er hatte mit seiner Freundin einen kleinen Rundgang gemacht, hatte sich unter anderem seine neue Schule angesehen, einige interessante Läden entdeckt und dann den Großteil der Zeit im Hangarbereich verbracht. Sie hatten sich dort die Jäger der Miliz angesehen.
Begeistert sprach der Junge davon, dass er sogar auf der Tragfläche einer leichten Maschine gestanden hatte. Sein Vater quittierte den umfangreichen Erlebnisbericht mit einem Stirnrunzeln. Sicher, er hätte seinen Sohn auch einfach nur verbieten können, draußen zu spielen, aber ihn gleich ins Quartier einschließen?
Zudem galt der alte Grundsatz „Verbotenes macht doppelt Spaß“ noch immer, Kinder waren eben Kinder.
»Hör mal Eugene...«
Der Familienvater dachte kurz nach, wie könnte er seinen Nachwuchs zur Vorsicht aufrufen ohne dabei wie ein alter Lehrer zu wirken? »Ich möchte dich bitten, ein wenig auf Anica aufzupassen.«
Der Name Anica sorgte sofort für die volle Aufmerksamkeit seines Kindes. »Du musst nämlich wissen, dass es hier noch immer noch Gefahren geben könnte. Und Anica weiß bei weitem nicht so viel wie du.« Dass er über so viel mehr an Wissen verfügen sollte als Anica, erfüllte den Jungen sichtlich mit Stolz.
«Keine Angst Dad! Wenn es jemand auch nur wagen sollte Anica zu bedrohen, dem haue ich so eins über...«
Der Rest von Eugenes Satz war eine kleine Flut aus Beschimpfungen, tollkühnen Angebereien und einer Vielzahl von Dingen, die in dieser Form nun wirklich nur aus einem Kindermund stammen konnten.
Als eine halbe Stunde später wieder Ruhe einkehrte und Eugene bereits in seinem Bett lag und schlafen sollte, war seine Mutter gerade dabei, die Reste vom Abendessen wieder im Kühlschrank zu verstauen.
Etwas verärgert entdeckte sie dabei Eugenes Jacke, der Junge hatte sie offenbar zuerst hinten an seinen Stuhl gehängt, dann war sie auf den Boden gefallen.
»Die Ordnung hat er eindeutig vom Vater...«
Leise sprach sie diesen Satz aus, hob die Jacke auf und etwas fiel aus der Innentasche auf den Boden.
Verwundert hob sie das seltsame Gerät auf, es war winzig und verschwand beinahe in ihrer Hand. Vom Aussehen her lag das Ding irgendwo zwischen einer Speicherkarte für ein MACS und einem Sensorenaufsatz für einen Scanner an einem Schiff...

*

Fast schon routiniert steuerte Deacan seinen Jäger ins Innere der Dream, nachdem er die Landegenehmigung vom Brückenoffizier des kleinen Zerstörers erhalten hatte. Der Söldner genoss mittlerweile seine relativ kurzen Aufenthalte an Bord des Clanschiffs, man hatte ihm sogar eine eigene Kabine zur Verfügung gestellt.
Und Wechselkleidung für den Söldner gab es hier auch, sogar einen ganzen Schrank voll.
Binnen weniger Sekunden hatte der Jäger seine Parkposition erreicht, zwischen den ganzen Blades mit ihren blutroten, riesigen Tragflächen wirkte die zivile Maschine winzig klein. Direkt dahinter kam auch Venice zum Stillstand, einige Augenblicke später waren die Hangartore wieder verschlossen und man flutete den Hangar mit Atemluft.
Jemand schob eine kleine Leiter an die Bordwand heran, das Cockpit schwang auf und der Söldner atmete tief die kühle Luft ein.
»Willkommen an Bord, Ser.!«
Deacan warf einen kurzen Blick in das Gesicht des jungen Technikers, es war offensichtlich ein neues Crewmitglied. Am Overall fand sich ein kleines Namenschild wieder, Marc Foster war darauf zu lesen.
»Vielen lieben Dank auch. Auftanken und bitte die Speicherbänke durchchecken.«
Der Techniker nickte eifrig, dann wollte er dem Söldner beim Aussteigen behilflich sein, was dieser jedoch lächelnd ablehnte. »Machen Sie einfach nur das, worum ich Sie gebeten habe. Nicht mehr, nicht weniger.«
»Ja Ser. Sofort Ser.«
Die nachfolgende freundlich gemeinte Geste des Technikers, die irgendwo zwischen einer Verbeugung und einen altmodischen Knicks lag und definitiv nicht mehr in die jetzige Zeit passte, sorgte für einen Moment wirklich unfreiwilliger Komik. Okay – dieser Mann hier war wirklich ein absoluter Neuling im Clan, aber die Zeit wird es ja bekanntlich richten.
Deacan sprang die wenigen Stufen der Leiter hinab, er rückte seinen Mantel ein wenig zurecht, dann wandte er sich der Shaman seiner Partnerin zu.
»Kommst du? Wieso muss man eigentlich immer auf euch warten, mhm?«
Die Antwort auf die spitze Bemerkung ließ nicht lange auf sich warten.
»Also Mann muss warten, weil Frau nicht unbedingt so aussehen muss, als wäre sie gerade frisch aus dem Cockpit geklettert.«
Der Privateer fuhr sich nachdenklich über den Kinnbart. Dabei entging ihm natürlich der lange Schatten nicht, der direkt neben ihm auftauchte. Die Konturen auf den Boden entsprachen eindeutig einem Mann, dessen Mantel fast den Boden berührte.
»Ser Arris? Schon Neuigkeiten?«
Der „Schatten“ kam links neben Deacan zum Stehen, der Söldner hörte ein leises Lachen.
»Es gibt da einiges, was Sie noch nicht wissen. Und wie ich sehen muss, gibt es auch noch Dinge, die wir beide niemals verstehen werden.«
Arris neigte den Kopf in Richtung der Shaman und der Söldnerin, die noch immer auf dem Pilotensitz saß und offenbar ihre Erscheinung in einen kleinen, runden Spiegel überprüfte. Deacan löste sich als erster wieder von dem seltsamen Bild.
»Dann erzählen Sie mal.«
Ohne den Blick vom Geschehen direkt voraus zu lösen, oder auch nur ansatzweise das breite Grinsen aus den Mundwinkeln zu verbannen, gab Arris Antwort.
»Wir haben einen vorläufigen Bericht erhalten, Sera Manley hat uns bereits bestens mit Material versorgt. Ach ja, zudem gab es einen kleinen Vorfall auf Ihrer Heimatbasis. Tersa.«
Deacan horchte bei dem Namen kurz auf, dann aber schien sein Interesse wieder zu schwinden. Seine Heimat war nicht Tersa, nicht Hermes, Hades, Crius oder ein anderes Stück Fels im All. Seine Heimat war der Sitz in der Duress, der einzige Platz, an dem er sich wirklich heimisch fühlte.
»Tersa? Geht’s vielleicht genauer?«
Arris zuckte mit den Schultern.
»Dateneinbruch. Genaueres wissen wir derzeit noch nicht, aber wenn es wirklich wichtig ist, dann wird unsere Manley sicher davon berichten. Vermutlich früher als uns lieb ist.«
 
part 7

*

Ein ganzer Stapel Papiere lag auf dem Tisch, ein leicht untersetzter Beamter in einer CIS-Uniform schob seine Pfunde immer wieder auf dem Stuhl vor und zurück – aber der Mann, der ihm gegenüber saß, blickte mit gleichgültiger Miene drein. Seit fast vier Stunden schon lief dieses Verhör hier ohne nennenswerte Ergebnisse und mit jeder Minute schien der Beamte mehr und mehr auf der Verliererseite zu stehen.
»Noch einmal. Ihr Name?«
Der Söldner hob seine linke Hand, er musterte einfach seine Fingernägel und dachte nicht einmal eine Sekunde lang daran, den wesentlich kleineren Mann auch nur am Rande wahrzunehmen.
Das hier war Zeitverschwendung. »Ihr Name?« Der Beamte versuchte etwas mehr Autorität in seine Stimme zu legen, sein stummer Gesprächspartner machte derweil einfach mit seiner optischen Maniküre weiter. »Sie wissen schon, was Ihnen vorgeworfen wird?«
Der Söldner sah auf, dann formte er mit seinen Lippen zwei Worte, sprach sie aber nicht aus.
Allerdings... Diese Worte konnte man deutlich erkennen. Fuck you!
»Wie lange soll der Spaß noch andauern?«
Völlig entnervt sah man im Nachbarzimmer auf den kleinen Monitor, der das Geschehen im Verhörzimmer wiedergab. Direkt daneben befand sich eine weitere Anzeige, die ein Wärmebild des Söldners wiedergab, man hoffte damit Anzeichen für Falschaussagen zu finden – bekanntlich steigt bei einer bewussten Lüge die Temperatur der Haut im Gesicht etwas an – falls man nicht darauf trainiert war, genau dieses Phänomen zu unterdrücken.
»Solange es eben dauert. Wir haben schon ganz andere Leute geknackt, selbst dieser komische Vogel hier hat seine Grenzen.«
»Wenn Sie sich da mal nicht irren.«
Diese neue Stimme kam aus dem Hintergrund und beide Agenten erkannten sofort, wer sich hinter der dunklen Stimme verbarg – der Kommandant der CIS auf Anhur, ein Mann namens Ser Cord.
»Nun ja Ser... Ich denke, dass unser Mann da drinnen seinen Job schon hin bekommt.«
Ein schiefes Lächeln war die Antwort.
»Dann sollten Sie sich das hier vielleicht einmal ansehen. Wir haben seine ID geprüft. Der, wie nannten Sie ihn doch gleich...? Ach ja, komische Vogel ist nirgendwo verzeichnet. Seine ID-Card ist ein auf der einen Seite ein schlechter Witz, auf der anderen allerdings eine fantastische Fälschung. Das MACS war völlig leer – nicht einmal ein Konto war vorhanden. Wir checken derzeit noch seine DNS, vielleicht hat er ja mal einen Aufenthalt in einen Krankenhaus erlebt. Ich jedenfalls bin mit meinen Latein fast am Ende. Seine, nennen wir sie einmal Zielperson war auch keine Hilfe, sondern nur eine Bordsteinschwalbe wie sie im Buche steht. Hübsches Gesicht, nettes Lächeln und das war es dann auch schon. Das übliche Geschäft: keine Namen, keine Fragen. Gezahlt hat er wohl im Voraus und recht viel sogar für die Aufgabe, die er seiner Zielperson zugedacht hatte.«
Einen kurzen Augenblick herrschte Stille. »Ich meine, so etwas habe ich noch nicht erlebt, selbst damals beim alten Clan nicht.«
»Sein Jäger?«
»Was für ein Jäger? Der Raumhafenmanager hat alle Maschinen überprüft, keine gehört dem Typen da. Und dieses Ding...«
Ser Cord sah für einen Augenblick auf sein MACS, dort konnte man auf dem Display eine Abbildung des seltsamen, winzig kleinen Gerätes erkennen, das dem Söldner offenbar gehörte und dessen „Einsatz“ bereits einen Mann der uniformierten Truppe auf bizarre Weise das Leben gekostet hatte. »...dieses Ding da gibt uns noch mehr Rätsel auf. Ser Hassan ist schon informiert, er ist auf dem Weg hierher. Hoffen wir auf Antworten.«
Der Blick der drei Männer heftete sich wieder auf den kleinen Monitor.
»Ihr Name?«

*

»Und?«
»Er schläft. Es war ja auch ein recht anstrengender Tag für ihn.«
Eugenes Mutter sah lächelnd und mit dankbarem Blick auf ihren Ehemann – er hatte die recht schwierige Aufgabe übernommen seinen Sohn ins Bett zu bekommen und es hatte erst nach etwa einer guten Stunde funktioniert. Eine kleine Gute-Nacht-Geschichte hatte letzten Endes wahre Wunder bewirkt.
Zuvor war Eugene insgesamt zweimal wieder aus dem Bett geklettert und im Wohnzimmer aufgetaucht – beim ersten Mal hatte er Durst, beim zweiten Mal konnte er nicht schlafen.
Vermutlich wollte er einfach nicht…
Zurück im Wohnzimmer ließ man sich auf die große Couch fallen, der Familienvater griff zu einem Datenpad und aktivierte damit einen großen Monitor, der direkt in die Wand gegenüber eingelassen war.
»Musst du jetzt wirklich den Nachrichtenkanal einschalten? Weißt du denn nicht, dass die erste Nacht in einer neuen Wohnung unheimlich wichtig ist?«
Überrascht sah er auf seine bessere Hälfte. War sie etwa tatsächlich verärgert? Oder versuchte sie nur etwas Aufmerksamkeit von ihm zu erhaschen? Nach kurzer Überlegung deaktivierte er den Monitor wieder und rutschte ein kleines Stückchen näher an sie heran.
»Unheimlich wichtig?«
Dem Schmollmund, den er dabei zog, konnte sie noch nie widerstehen – er war wohl auch einer der Gründe gewesen, weshalb sie vor gut elf Jahren seinen recht simplen und wenig fantasievollen Antrag mit einem Ja beantwortet hatte.
»Was denkst du denn? Allerdings gibt es da etwas, das du wissen solltest.«
Jetzt war sie es, die einfach nur süß aussah – sie versuchte seinen Gesichtsausdruck nachzuahmen, das gelang jedoch nur teilweise.
»Ich höre?«
»Es wäre schön, wenn dein Sohn nicht jeden Müll mit ins Haus schleppen würde.«
»Mein Sohn schleppt Müll ins Haus? Könnte es nicht vielleicht auch dein Sohn sein?«
»Lenke nicht vom Thema ab, mein Lieber. Unordnung und Chaos sind deine Begleiter, nicht meine. Von daher also ganz klar: Dein Sohn.«
Aha. Er überlegte für einen Moment, ob es klug wäre, eine passende Antwort vom Stapel zu lassen, dann allerdings entschied er sich dagegen. Die Couch hier war zwar warm und weich, aber das Doppelbett nur ein Zimmer weiter war um Klassen besser – soviel hatte er inzwischen verstanden.
»Müll also?«
Sie nickte, griff flugs in ihre Hosentasche und zauberte das kleine Stück Technologie hervor.
»Keine Ahnung, wo er das schon wieder her hat. Und frag mich nicht, was das ist.«
Neugierig und aufmerksam betrachtete er das Kleinod von allen Seiten. Ein Sensor? Unwahrscheinlich, es gab keine sichtbare Schnittstelle. Ein Speicherchip? Wenn ja, dann müsste das ein uraltes Modell sein, er selbst war mit den neuen und aktuellen Modellen mehr als nur vertraut. Blieb nur eines noch, sein MACS und das Teil einfach scannen.
Das konnte doch nun wirklich nicht so schwer sein, oder? Langsam stand er auf und zog seinen kleinen elektronischen „Freund und Helfer“ vom Gürtel ab. Dann sah er angestrengt auf das Display.
»Das ist eigenartig. Ich erhalte hier keine klaren Daten, sieht fast so aus als hätte man ein Material verwendet, das Sensorwerte zerstreut.«
Den Blick stur auf das Display gerichtet entging ihm fast, das schlagartig ein eigenartiges, blaues Leuchten oder Schimmern von dem Ding ausging, das sich stetig in der Intensität steigerte. »Was zum Teufel...«
Doch weiter kam er gar nicht, sein Gesicht begann sich schmerzerfüllt zu verzerren, wie ein Stein fiel er zu Boden und das Gerät entglitt seinen Fingern.

*

»Ser? Ser Larsen?«
Wenn er eine Sache auf keinen Fall jemals am frühen Morgen sehen wollte, dann war es wohl mit Sicherheit das Gesicht seines jungen und nervigen Kollegen.
Und was musste ausgerechnet heute passieren?
Warum mussten sich eigentlich alle seine Alpträume mit wunderbarer Regelmäßigkeit erfüllen?
Ser Larsen wollte doch nur eines und das war in aller Ruhe schlafen zu können...
»Ah, schön zu wissen, das Sie noch wach sind.« Wach? Und vor allem: noch? Verärgert sah Larsen auf seine antike Armbanduhr, und die zeigte deutlich an, dass sein Dienst erst in vier Stunden beginnen würde.
»Danke, dass man mir auch noch den letzten Funken Schlaf raubt. Aber das ist schon in Ordnung, Ruhe wird ja bekanntlich völlig überwertet, nicht wahr?«
Larsens junger Kollege bemerkte natürlich die miese Laune seines Vorgesetzten, er bemühte sich daher um ein übertrieben freundliches Gesicht.
»Es tut mir leid, Sie zu stören. Aber es ist wichtig.«
Ser Larsen rappelte sich ein wenig auf.
»Also? Und bitte die Kurzfassung, ich hoffe immer noch inständig auf eine oder zwei Stunden im Reich der Träume.«
»Es geht um diesen Datenklau.«
»Ja? Was ist damit? Und warum kann das nicht bis nachher warten?«
Der junge Offizier holte tief Luft, nervös hielt er dabei sein MACS in den Händen.
»Ser, dieser Datenstrom... Der war mehrspurig.«
»Was reden Sie denn da für einen Unsinn?«
»Es ging nicht um Daten von Hades, sondern um Daten unserer Station. Diese Typen haben einfach mehrere Signale übereinander gelegt, das was wir gesehen haben waren uralte Daten und nichts von aktueller Relevanz. Die haben aber unsere Dienstpläne.«
Ser Larsen sah intensiv in das Gesicht seines Kollegen.
»Und woher wissen Sie das?«
»Hier... Ich habe einfach alle Daten kopiert, die über unsere Festplatten gelaufen sind. War eine Heidenarbeit, aber letztlich ist es eindeutig, nicht Hades sondern wir sind das Ziel.«
Eine tolle Rede zu einer echten Spitzenzeit. Tersa ein Ziel? Wofür denn bitte schön? Hier gab es nichts, was einen Angriff rechtfertigen würde.
»In Ordnung Sherlock Holmes, in Ordnung. Ich bin durchaus geneigt dir Glauben zu schenken. Aber erstens, finde doch bitte heraus, was diese bösen, bösen Jungs von unserer Station wollen. Zweitens, übertrage deine Erkenntnisse einfach auf ein Datenpad und lege das dann auf meinen Schreibtisch. Drittens, verschwinde aus meinem Quartier!«
Ser Larsen zog demonstrativ die Bettdecke über den Kopf, sein Arbeitskollege verstand die Geste sofort, leise verließ er das Zimmer und zog die Tür in Schloss.
»Na schön. Aber ich weiß, dass ich richtig liege. Und das werde ich auch beweisen.«
Mit schnellen Schritten verließ er den Flur in Richtung Brücke, es gab da noch etwas, das er ausprobieren musste.
 
part 8

*

»Hier sind die Daten, um die Sie gebeten hatten.«
Sera Manley sah von ihren Schreibtisch kurz auf, dann nickte sie dem Soldaten zu.
»Danke. Legen Sie es einfach zu den anderen.«
Etwas unsicher suchte der junge Soldat einen freien Platz für sein Material auf den riesigen Stapel von Akten und Ordnern, dann verschwand er wieder still und leise aus dem Raum. Etwas gestresst sah der Rotschopf im kurzen Rock auf die schiere Flut von Material, das man ihr da aufgetürmt hatte.
Daten ohne Ende, Papier ohne Ende. Egal, das war halt ihr Job.
Der Großteil der Daten hier kam direkt aus den Großrechnern der CIS, hauptsächlich Dienstakten, Personaltransfers und jede Menge an internen Sicherheitsprotokollen. Der Rest bestand aus Daten vom Clan, Ser Arris hatte bereits mit etlichen Informanten Kontakt aufgenommen, man suchte verzweifelt nach den Hintergründen für den Tod des ehemaligen Senatoren namens Angus Santana. Manley selbst hatte diesen Mann nur zweimal persönlich gegenüber gestanden, einmal bei der ersten Vernehmung und ein zweites Mal beim Transferflug nach Hades, einer Aktion, die man unter ihre Leitung gestellt hatte.
Und jetzt?
Wochen der Arbeit schienen umsonst gewesen zu sein.
Der Großteil der Menschen im Tri-System kannte Angus Santana nur als Senatoren mit zum Teil recht seltsamen Ideen und Aktionen, daneben war der noble Herr aber auch als Firmenbesitzer tätig gewesen. Was allerdings genau hinter den Fassaden seiner Gesellschaft namens Interplanetary Aid passierte oder ob es einen direkten Zusammenhang zu Santanas Plänen gab – all dies waren Fragen, die man selbst in den Monaten nach der Verhaftung Santanas nicht klären konnte. Interplanetary Aid verkaufte und produzierte medizinische Geräte, von der Kühlkapsel bis hin zum Laserskalpell.
Hauptabnehmer hierfür waren die Krankenhäuser auf Crius.
Okay, das war also eine Sackgasse, dann eben anders.
Manley beschloss, einen genaueren Blick auf die Baupläne der Hochsicherheitsanlagen von Hades zu werfen, vielleicht hatte man ja etwas übersehen. Laut den Unterlagen hatte Santana in einer der Zellen gesteckt, die man inoffiziell als Grube bezeichnete – wobei die Bezeichnung der Realität doch sehr nahe kam. Die Gefangenen lebten in einer Art Keller, direkten Zutritt bekam man nur von oben.
Ein Kraftfeld bildete die „Raumdecke“ und stellte zeitgleich auch das eigentliche Schloss der Zelle dar. Selbst falls jemand dieses Feld überwinden konnte, atmen konnte man draußen nicht. Über den Gruben lag eine hochgradig giftige Atmosphäre, die jeden ohne Atemmaske binnen weniger Sekunden tötete. Wer also auch immer den Senatoren in jener Nacht einen Besuch abgestattet hatte, der musste zwangsläufig im Besitz einer entsprechenden Schutzausrüstung und des passenden Codes für das Kraftfeld gewesen sein. An die Atemmaske kam man nur mit Hilfe eines speziellen MACS heran, die Freigabe oblag Ser Hassan persönlich.
Und der Code fürs Kraftfeld... Das war noch weitaus komplizierter, Fingerabdruck und eine optische Abtastung der Netzhaut waren nötig, um einen Besucher auch nur anzumelden. Und die Aufsicht teilten sich ganze vier Personen, allesamt langjährige Mitarbeiter der CIS. Letzten Endes konnte die ganze Prozedur von Ser Hassan sofort außer Kraft gesetzt werden, ein einziges Codewort genügte bereits.
Also vier Personen, Nummer Fünf strich Manley sofort von ihrer Liste, Ser Hassan war ihr Mentor, ihr Freund, ihr langjähriger Weggefährte. Und an seiner Loyalität gab es keinerlei Zweifel.
Sera Manley übertrug die Namen der vier Wachmänner direkt auf ihr MACS, in den kommenden Stunden würde sie in der Vergangenheit dieser Männer graben und jedes noch so kleine Detail ans Licht befördern.
Vorerst allerdings gab es etwas Wichtigeres. Manley aktivierte eine kleine Gegensprechanlage auf ihren Schreibtisch. »Könnte mir bitte jemand etwas zu essen bringen? Und ein Kaffee wäre wirklich schön.«
»Kommt sofort, Sera Manley.«

*

»Willkommen auf Anhur, Ser. War der Flug wenigstens angenehm?«
Ser Hassan schenkte dem Sprecher des Empfangskomitees einen kurzen Blick, dann nickte er leicht.
»Haben Sie alles vorbereitet?«
»Ja Ser. Wenn Sie mir einfach folgen würden? Wir haben ein Quartier für Sie hergerichtet, falls Sie länger auf Anhur verweilen möchten.«
Ser Hassan erwiderte nichts darauf. Er wollte nur auf schnellstem Wege seinen Verdacht bestätigt sehen und danach sofort wieder nach Hades zurück fliegen.
Lange Aufenthalte außerhalb seines Büros waren ohnehin nicht nach seinem Geschmack.
Schnellen Schrittes erreichte die kleine Truppe einen geschlossenen, hellgrauen Landgleiter, der als Taxi fungierte und direkten Kurs auf den Bürokomplex der CIS nehmen würde. Als sich die Schiebetür hinter dem letzten Soldaten schloss und der Gleiter langsam abhob, hörte man Hassan deutlich aufatmen.
»In Ordnung, geben Sie mir einen groben Überblick.«
Erstaunt zog der Offizier auf dem Platz direkten neben Hassan die Augenbrauen hoch.
»Hier? Ich hatte gedacht, dass Sie in der Zentrale einen detaillierten Bericht sehen wollten.«
Hassan sah stur geradeaus.
»Ihren so genannten detaillierten Bericht kann ich auch auf dem Rückweg studieren, meine Zeit ist begrenzt. Also?«
Für einige Sekunden herrschte Ruhe im Gleiter, dann räusperte sich der junge Offizier und begann mit seinen Bericht.
»Wir haben einen Söldner verhaftet, die Anklage wird auf Totschlag lauten, es hat einen Beamten erwischt, der allerdings nicht im Dienst war. Die Waffe, falls man sie so nennen kann, ist für uns ein Rätsel. Es ist ein kleines, elektronisches Bauteil, das wohl mit Sensoren bestückt ist und sich bei Berührung mittels eines Nervengiftes verteidigt. In unseren Archiven haben wir nichts Vergleichbares finden können.«
Hassan drehte langsam seinen Kopf zur Seite, er suchte direkten Blickkontakt zu seinen Gesprächspartner.
»Und der Söldner?«
Der Offizier schüttelte energisch den Kopf.
»Keine Akte, keine Identität, dafür gefälschte Papiere. Eine Probe seiner DNA verlief inzwischen auch erfolglos. Vermutlich hat man seine Vergangenheit gelöscht.«
Hassan überlegte einen Augenblick. Vor einiger Zeit gab es einen Söldner namens Lev Arris, der ebenfalls für einen längeren Zeitraum ohne eine wahre Identität lebte – allerdings suchte eben dieser Ser Lev Arris verbissen danach. Was er letztlich vorfand war eine ganze andere Geschichte, an deren Ende die Führungsposition im Clan stand.
Egal, das hier war mit Sicherheit eine völlig andere Sache, dieser namenlose Söldner hatte bewusst seine Identität abgelegt und unter Garantie wusste er genau, warum er das tat.
Hassan griff in die Innentasche seiner Jacke, er schien etwas zu suchen.
»Sagen Sie, sieht das bewusste Gerät vielleicht so aus?«
Zwischen Daumen und Zeigefinger hielt Hassan ein kleines Bauteil hoch und sein Platznachbar erkannte sofort eine verblüffende Ähnlichkeit. Allerdings war Hassans Version leicht geschwärzt, so als wäre es längere Zeit einem intensiven Feuer ausgesetzt gewesen.
»Wo haben Sie denn das her?«
Hassan verstaute das Gerät wieder in seiner Innentasche.
»Beantworten Sie eine Frage immer mit einer Frage? Aber egal, ich werte Ihre Reaktion einmal als ein Ja. Ehrlich gesagt habe ich mehrere davon in der Schublade meines Schreibtisches auf Hades, alle sind in Wracks von zivilen Raumjägern gefunden worden und die ältesten davon stammen noch aus der frühen Zeit des alten Clans. Nur... Bislang waren alle ohne Funktion. Alle, bis auf Ihres.«
Hassans Blick wanderte wieder nach vorn. »Wissen Sie schon, wie das Teil in etwa funktioniert?«
»Wir haben da eine Vermutung, wahrscheinlich speichert es die DNA seines Besitzers ab und reagiert dann aufs Übelste, wenn ein Fremder es berührt. Obwohl es hierbei auch Ausnahmen zu geben scheint. Aber wir arbeiten mit Hochdruck daran.«
Knapp zwei Minuten später kam der Gleiter zum Stillstand und die Tür wurde von außen geöffnet.
Hassan stieg als erster aus dem Gleiter aus, er drehte sich um und sah auf seinen Untergebenden, der sich gerade von seinem Platz erhob.
»Gut, dann zeigen Sie mir mal, was Sie für mich haben. Bitte kein Fachchinesisch, nur die Fakten in verständlicher Sprache.«
»Gerne Ser.«

*

Die beiden aufblitzenden Positionslichter an den Enden der winzigen Tragflächen der Veldor waren schon aus großer Distanz für jeden Piloten deutlich zu sehen. Noch deutlicher waren nur die großen und hellen Landescheinwerfer des Monolith-Frachters zu erkennen, die auf die winzige Andockschleuse eines verlassenden Depots gerichtet waren und dem Piloten den Anflug wesentlich erleichtern sollten.
Die Veldor fungierte offensichtlich als Begleitschutz für den Frachter und damit befand sich das Großschiff in denkbar schlechter Gesellschaft: Jincilla-Piraten.
Einige leichte Jäger vom Typ Skull flogen in enger Formation über die Frachtmaschine hinweg, ein großer Kreuzer des Piratenclans säumte das Geschehen in unmittelbarer Nähe, zwei Shuttles tauchten direkt hinter dem Depot auf und hielten mit Höchstgeschwindigkeit auf den Frachter zu.
Dieser Beutezug der Piraten schien sich im wahrsten Sinne des Wortes gelohnt zu haben.
Der Pilot der Veldor nahm Kontakt zum Kreuzer auf.
»Hier ist Patrouille Eins. Haben den Frachter gefunden! Das war fast zu einfach, die Besatzung war wie versprochen nicht an Bord, ein Shuttle fehlte – offenbar war gerade ein Schichtwechsel im Gange. Wir mussten nur noch einsteigen und die Triebwerke starten.«
»Was ist mit der Miliz?«
Ein lautes Lachen drang aus den Lautsprechern.
»Wir waren viel zu schnell für die Typen in Uniform. Das ganze Unternehmen hat nicht einmal zehn Minuten in Anspruch genommen.«
An Bord des Kreuzers machte sich eine euphorische Stimmung breit, noch nie war eine Aktion derartig gut verlaufen wie diese hier. Zudem war man sehr dankbar für den kleinen Hinweis auf diesen Beutezug, den man von einem „Kollegen“ erhalten hatte.
»Frachter ist angedockt, Halteklammern gesichert. Wir beginnen mit dem Ausladen der Fracht, Treibstoff hat hierbei höchste Priorität!«
Auf der Brücke des Kreuzer herrschte sofort hektische Betriebsamkeit, einige Jäger draußen flogen mit fast leeren Tanks durch die Gegend. Man nahm zu den einzelnen Schiffen Kontakt auf und leitete diese dann direkt unter den Frachter, dort hatte inzwischen ein Shuttle angedockt, das mit einer Tankvorrichtung ausgestattet war und gewissermaßen als mobile Pumpe dienen sollte.
»Patrouille Eins, Sie haben uns den Frachter gebracht, Sie dürfen als erster Sprit fassen.«
»Verstanden, Kurs liegt an.«
Eigentlich waren die Tanks der Veldor noch zur Hälfte gefüllt, aber in alter Tradition stand dem Piloten der Veldor auch das erste Stück vom Beutegut zu und das war hauptsächlich Treibstoff. In den übrigen Frachträumen lagerten ein paar Lebensmittel, Dosenfleisch und zwei komplette Kisten mit hochprozentigem Alkohol.
Für die kleine Siegesfeier war also auch schon gesorgt.
Dank der Hochleistungspumpen des Shuttles dauerte das Auffüllen der Veldor mit Treibstoff nur wenige Sekunden, zufrieden löste der Pilot die Andockklammern und gab ein wenig Schub.
Direkt hinter sich konnte er bereits eine Skull erkennen, die als nächstes ihren Treibstoffvorrat auffüllen wollte.
Dann wurde es plötzlich taghell...
Eine Feuersäule schlug aus den Triebwerken der Veldor, die Hitze riss die Triebwerke auseinander.
Die Explosion erfasste sofort das Shuttle, die Besatzung sah nicht einmal, was sie traf. Dann griff das Feuer in Sekundenschnelle auf den Monolith über, eine Schockwelle raste durch das System, sie erfasste den Kreuzer, dessen Außenhülle unter der Hitze und dem Druck regelrecht aufplatzte.
Kein Schrei war in den Headsets der Piloten zu hören, kein Wort erreichte auch nur einen Menschen da draußen.
Das ganze System war auf einen Schlag totenstill.
Glühende Trümmer verteilten sich still im Raum, nichts deutete mehr an, das jemand, nein – dass auch nur etwas überlebt hatte.
 
part 9

*

Sie saß einfach still auf einer kleinen Bank in einem der vielen Flure des Hospitals und war zum Warten verdammt, nichts konnte sie tun, nichts konnte sie sagen.
Nur warten...
Der medizinische Notdienst hatte das Quartier der kleinen Familie innerhalb weniger Minuten erreicht, man stellte viele Fragen doch sie hatte keine Antworten.
Alles was sie tun konnte war immer wieder auf das Gerät zu zeigen. Danach gab es nur noch unendlich viele Tränen.
Eine Tür öffnete sich, zum Vorschein kam einer der Ärzte, der schon die Erstversorgung im Quartier vorgenommen hatte.
»Sera Ryan?«
»Ja?«
Benommen stand sie auf und wankte dem Arzt einige Schritte entgegen.
»Langsam, Sera Ryan, ganz langsam. Ihr Mann wird überleben, wir erwarten auch keinerlei Folgeschäden. Seine gute körperliche Kondition und der nur sehr kurze Kontakt mit der Waffe waren dafür wohl entscheidend.«
Sera Ryans Gesicht hellte sich auf, es war ein seltsamer Kontrast zu den Tränen, die in schnurgeraden Linien über ihre Wangen liefen.
»Sind Sie absolut sicher?«
Der Arzt nickte, dann legte er seine Hand auf ihre Schulter.
»Bitte setzen Sie sich doch wieder. Ich habe da allerdings noch ein paar Fragen.«
»Ich weiß nur leider keine Antworten.«
»Wir werden sehen. Diese Waffe – bitte, wo ist die her?«
Sera Ryan sah den Mediziner in die Augen.
»Unser Sohn muss sie gefunden haben, wir hatten ja keine Ahnung was es damit auf sich hatte. Hätte wir auch nur geahnt... Es sah so harmlos aus.«
»Glauben Sie, dass Ihr Sohn uns die Stelle zeigen könnte, wo er das Gerät gefunden hat?«
Sie nickte, wenn auch leicht zögerlich.
»Muss das noch heute passieren? Eugene wurde leider wach, er hat seinen Vater gesehen, er hat alles mit ansehen müssen. Ich würde ihn gerne noch ein paar Stunden ruhen lassen, er ist bei seiner Freundin, die Mutter war so nett ihn erst einmal dort unterzubringen.«
»Aber ja, das geht in Ordnung. Wir werden die Befragung auch nicht selbst vornehmen, dafür werden ein paar Experten der CIS hier eintreffen. Wir haben auf das Alter Ihres Sohnes hingewiesen und es hieß eindeutig, dass man das berücksichtigen würde. Wenn Sie noch Fragen haben, hier ist meine Karte. Sie erreichen mich Tag und Nacht, versprochen.«
Dankend nickte sie dem Arzt zu.
»Kann ich zu ihm?«
»Ja, aber erst in einer halben Stunde. Wir mussten seinen Körper völlig entgiften, ich möchte Ihnen den Anblick der vielen Apparaturen nach Möglichkeit ersparen, wenn Ihnen das recht ist. Es sieht nämlich schlimmer aus als es tatsächlich ist.«
Sera Ryan überlegte einen kurzen Augenblick, dann entschied sie sich gegen den Rat des Arztes.
»Ich will ihn jetzt sehen!«
»Einverstanden, kommen Sie bitte mit.«

*

Ein hellblau leuchtender Nebel fesselte den Blick, die Stille des Alls beherrschte die Szene draußen jenseits des Sicherheitsglases.
Drinnen sah es jedoch anders aus...
Die Tür zu Ser Arris kleinen Raum wurde regelrecht aufgetreten, erschrocken sah der Clanführer auf und blickte dabei direkt in die Mündung eines Blasters.
Sofort reagierten zwei Wachleute des Clans, die sich ebenfalls im Raum befanden und eigentlich ihre aktuellen Dienstpläne abholen wollten.
»Die Waffe runter! Sofort!«
Einer der Wachleute zog mit aller Gewalt Ser Arris samt des Sessels, auf dem er saß, nach hinten und stellte sich direkt in die Schusslinie vor seinen Arbeitgeber – nur Bruchteile einer Sekunde hatte dieses Manöver gedauert, mit atemberaubender Geschwindigkeit hatte der Wachmann nebenbei noch seine Waffe gezogen.
Auch seine Kollegin nahm den unangemeldeten Besucher sofort ins Visier. »Ich sagte: Die Waffe runter! Sofort!«
Der Besucher schien zu überlegen, ob er tatsächlich schießen sollte oder nicht, dann senkte er plötzlich seinen Blaster.
Sein Blick war hasserfüllt.
»Ich verlange nur eine Erklärung. Mehr nicht. Zumindest vorerst nicht.«
Gut, das war zumindest ein möglicher Anfang, Ser Arris stand langsam auf und suchte direkten Blickkontakt zum Gast. Der war recht groß und kräftig, vielleicht Anfang Dreißig.
»Ich kenne Sie doch... Sie arbeiten für die Jincilla, habe ich recht?«
Der Fremde nickte, widerstandslos gab er seine Waffe an den weiblichen Wachmann ab. »Und was soll dann dieser Auftritt hier?«
Der Jincilla rang sichtlich nach Luft, er schien quer durch das ganze Schiff gerannt zu sein. Direkt hinter dem Piraten kam ein weiterer Wachmann zum Vorschein, auch er war völlig außer Atem. Seine Worte gingen fast in dem gerade einsetzenden schrillen Alarmsignals aus den Schiffslautsprechern unter.
»Ser Arris... Es tut mir leid, wir haben versucht ihn aufzuhalten, aber er war irgendwie schneller.«
Arris sah seinen Angestellten scharf an.
»Warum wurde mir seine Landung nicht gemeldet?«
Der Jincilla kam dem Wachmann mit der Antwort kurzerhand zuvor.
»Es gab keine Landung, ich bin mit einem Shuttle hier, es ist an einer der unteren Schleusen angedockt.«
Arris MACS ging online, auf dem offenen Audiokanal hörte er die Stimme von Ser Deacan Reese.
»Ser Arris, wir haben den Alarm gehört. Ist alles in Ordnung bei Ihnen?«
»Es geht mir bestens, falscher Alarm. Ich erkläre es später, Arris Ende.«
Mit einer schnellen Handbewegung deaktivierte der Clanführer das Gerät, dann wandte er sich seinen Leuten zu, wies mit der Hand jedoch auf den Jincilla. »Und niemand hat das bemerkt? Da habe ich ja schöne Experten in meinen Reihen. Würde bitte jemand so freundlich sein und den Alarm abschalten? Man versteht ja kaum sein eigenes Wort.«
Eigentlich war dies eher scherzhaft als wirklich böse gemeint, zumindest sah einer der Wachleute leicht beschämt nach unten, seine Kollegin griff zum MACS und deaktivierte den Alarm.
»Es tut mir leid, aber mit deaktivierten Triebwerk und völlig abgestellter Elektronik hätte mich niemand bemerken können. Aber ich bin in offizieller Mission hier. Bitte erklären Sie uns das hier.«
Der Jincilla griff in die Innentasche seiner kurzen Jacke und sofort gingen die Wachleute wieder auf Verteidigungsposition. »Keine Angst. Das ist nur ein Datenpad.«
Langsam holte der Mann das Datenpad hervor, er legte es auf den Schreibtisch und Ser Arris nahm es umgehend in Augenschein. Das Display zeigte eine Nachricht, darin wurde von einem mit Treibstoff beladenen Frachter berichtet, der offenbar ein leichtes und günstiges Ziel darstellte – zumindest dann, wenn man als Pirat unterwegs war.
»Ich verstehe nicht ganz, was hat das bitte mit mir zu tun?«
Ser Arris blickte vom Display auf.
»Das ist doch Ihre Unterschrift darunter. Oder etwa nicht?«
»Wie bitte?«
Der Clanführer sah ein weiteres Mal auf das Display, dann vergrößerte er die letzten Worte am Ende der Nachricht und las sie leise vor. »...mit freundlichen Grüßen, Ser Lev Arris, an Bord des Zerstörers Dream.«
Ein müdes Lächeln legte sich auf Arris Gesicht. »Es tut mir ja leid, aber ich gebe schon aus Prinzip keine Anleitungen oder gar Hinweise zum Schiffsklau. Das hier stammt nicht aus meiner Feder.«
»Ach nein? Sie sollten sich mal die nächste Nachricht ansehen, vielleicht hilft das Ihrem Gedächtnis auf die Sprünge.«
»Nun gut, wenn Sie darauf bestehen.«
Arris nahm wieder Platz, dann berührte er kurz eine Schaltfläche auf dem Datenpad und was er zu sehen bekam, das verschlug ihm regelrecht die Sprache.
Eine Nachricht war das hier im eigentlichen Sinne nicht, eher eine Abfolge von Bildern.
»Das ist gut vier Stunden alt und stammt aus dem Desolia-System.«
Arris erkannte nur zu gut das hier verwendete Schema und er erinnerte sich auch sofort an eine ähnliche Aktion vor einigen Monaten, damals erwischte es Hunderte Kiowan – der Schuldige war bis zum heutigen Tag noch immer auf freien Fuß.
Man hatte Angus Santana verdächtigt, aber jetzt sah das völlig anders aus.
»Sehe ich das richtig? Falscher Treibstoff?«
Der Pirat nickte kurz.
»Allerdings. Und wir wissen genau, dass es die Kiowan auf die gleiche Art und Weise schon vor uns erwischt hat. Also, macht es Spaß, uns aus dem Weg zu räumen?«
Ser Arris legte das Datenpad auf seinen Schreibtisch, dann stand er auf und ging einige Schritte auf seinen Gast zu.
»Ihre Verluste?«
»An Menschenleben? Mehr als Achthundert. Das waren gut vierzig Prozent unserer Einheiten im gesamten Sektor. Und alles Dank Ihrer Nachricht.«
»Ich betone es noch einmal, ich habe keinerlei Nachrichten an Ihren Clan verschickt. Und ich kann mir auch nicht vorstellen, dass einer meiner Leute hier so etwas getan hat.«
Der Gesichtsausdruck des Jincilla wurde düster.
»Ist das alles? Nur Ihr Wort, keine Beweise? Das hier trägt nicht nur Ihren Namen, sondern auch Ihre Kennung, Ihren Frequenzbereich und Ihre Verschlüsselungssequenzen. Für uns ist es damit authentisch. Es tut mir leid, aber Ihr Wort allein wird nicht reichen, um meine Vorgesetzten von Ihrer Unschuld zu überzeugen. Beim besten Willen nicht.«
Arris dachte nach, zumindest dieser eine Punkt ging eindeutig an den Piratenclan der Jincilla.
Er griff nach dem Datenpad, machte eine kurze Notiz darauf und gab es dem Jincilla wieder zurück. Ungläubig sah der auf die kurze Notiz des Clanführers, aber noch bevor er etwas fragen konnte, kam Ser Arris ihm zuvor.
»Das ist die Sensorenkennung dieses Schiffes hier, mit diesen Daten können Sie sofort und ohne Probleme die Dream finden. Falls Ihnen mein Wort nicht reicht, steht es Ihnen natürlich frei, uns hier mit Ihrer Streitmacht einen kurzen Besuch abzustatten. Wir werden nicht weglaufen, denn wir haben nichts getan. Und jetzt sollten Sie bitte gehen.«
Der Pirat legte das Datenpad wieder auf den Schreibtisch, drehte sich langsam um und verließ wortlos das kleine Arbeitszimmer, ein Wachmann begleitete ihn zurück zu seinem Schiff.
Arris sah ihm nachdenklich hinterher.
Jetzt hatten die Probleme erst angefangen.

*

Das Piepsen ihres MACS ließ Manley aufhorchen – nur, wo war das blöde Ding nur?
Erst jetzt fiel der Dame nämlich auf, dass ihr Schreibtisch schon wieder wie ein Schlachtfeld voller Papier aussah. Vorsichtig hob sie einige Akten hoch, hielt dann kurz inne und lauschte angestrengt, von wo nun genau das Signal eigentlich kam – ein schwieriges Unterfangen, sie wollte nach Möglichkeit nichts durcheinander bringen, auch wenn dies zum jetzigen Zeitpunkt fast an das schier Unmögliche grenzte.
»Ah, hab dich!«
Mit einem Ruck zog sie das Gerät unter einem Aktenordner hervor und warf dabei eine große Tasse mit Milchkaffee mit von der Tischplatte. »Na, verdammt. Doch nicht jetzt...«
Manleys kleine Selbstgespräche verloren sich zum Glück unbeantwortet im Raum, hastig versuchte sie etliche Seiten des kostbaren Papiers vor der nahenden Kaffeeflut in Sicherheit zu bringen.
Da sie hierfür beide Hände benötigte, legte sie ihr MACS auf die Schreibtischkante und damit direkt auf eine mit Honig beschmierte Brötchenhälfte.
Gerade war sie mit der kleinen Räumaktion auf dem Fußboden fertig, da bemerkte sie auch schon die süße und klebrige Überraschung auf ihren MACS, noch dazu mitten auf dem Display. Verzweifelt sah sie nach links und rechts auf das Papierchaos, irgendwo mussten doch hier ein paar Servietten liegen.
Obwohl, dafür war jetzt auch keine Zeit mehr.
Also Plan B: Mund auf und mit der Zunge versuchen, das kleine Missgeschick auf diese zugegebenermaßen angenehmste Weise zu beseitigen. Das MACS ging jetzt dank der Touchscreenfunktion des Displays online und Manleys Gesprächspartner bekam interessante Einblicke in die dentale Welt der CIS-Mitarbeiterin.
»Ich werde nicht fragen, was Sie da tun, Manley.«
Klasse, ausgerechtet Ser Hassan musste am anderen Ende der Leitung sein.
»Ist mit Sicherheit auch besser so, kleiner Unfall, nichts weiter.«
Hassan schenkte seiner Kollegin ein breites Grinsen.
»Ich verstehe... Zum Thema, sagen Sie, wann hatten Sie zuletzt ein paar schöne Stunde auf Petra?«
Manley sah irritiert auf das Display. Sollte das etwa ein Scherz sein?
»Schöne Stunden? In Verbindung mit Planet Petra? Also da verwechseln Sie garantiert etwas. Wollten Sie nicht eher Janus IV sagen?«
Hassan schüttelte den Kopf.
»Nein, Petra. Es gab vor Ort einen Unfall mit einer experimentellen Waffe. Und ich würde es begrüßen, wenn Sie der Sache auf den Grund gehen. Alles andere kann warten. Sämtliche Daten schicke ich Ihnen auf Ihr MACS. Ihr Kontaktmann vor Ort heißt Ser Warrington, Sie werden ihn erkennen, sobald er vor Ihnen steht. Denn dann wird es dunkel im Raum.«
Hassans kleiner Scherz verfehlte seine Wirkung nicht, das Gesicht seiner ehemaligen Mitarbeiterin hellte sich auf.
»Dann bin ich also als Beobachterin unterwegs?«
»Nein, als Agentin der CIS. Ich habe das in die Wege geleitet, nur so haben Sie die volle Unterstützung der Behörden vor Ort.«
Manley zog erstaunt die Augenbrauen ein wenig hoch.
»Und ich dachte, mein aktiver Dienst in der Truppe wäre beendet und ich würde nur noch als Kontaktperson agieren?«
»Wie war das doch gleich mit dem Vertrauen in Ihre Person und Fähigkeiten?«
»Ich verstehe. Wann breche ich auf?«
Hassan lächelte.
»Wie, Sie sind noch nicht unterwegs?«
 
part 10

*

Ser Larsen überprüfte nun schon zum fünften Male seine Uniformjacke, die einfach nicht richtig sitzen wollte.
Hatte er etwa in den letzten Wochen schon wieder an Gewicht und Umfang zugelegt? War das bei der miesen Kost auf Tersa überhaupt möglich? Er entschied sich gegen eine Gewichtszunahme seinerseits und für eine etwas beim Waschen eingelaufene Uniform anderseits.
Das war wohl auch besser so.
Dank seines Kollegen hatte er fast seinen Dienstbeginn verschlafen und jetzt saß er hier wieder mit diesem jungen Nervtöter im Kontrollzentrum der Station. Überraschenderweise war sein Kollege völlig still, er saß einfach nur da, nippte ab und zu an einer Tasse Kaffee und war in irgendeine Lektüre vertieft, die er sich wohl aus dem Datennetz herunter geladen hatte.
Ser Larsen lehnte sich entspannt auf seinem Drehstuhl zurück und ließ seinen Blick über die Monitore wandern, die seinen Arbeitsplatz säumten. Zu seiner Linken gab es aktuelle Mitteilungen, dort lief immer einer der unzähligen Nachrichtenkanäle – allerdings ohne Ton, dafür gab es Untertitel in Unmengen.
War etwas wirklich wichtig, dann wurde es ohnehin permanent als Endlosschleife gesendet.
Direkt in Front gab es eine riesige Radaranzeige für den ganzen Sektor, der immerhin eine Ausdehnung von mehreren Lichtminuten besaß. Neuankömmlinge wurden hier sofort registriert und der Station gemeldet. Die komplette rechte Seite der Arbeitsstation umfasste Displays für unzählige Kameras innerhalb und außerhalb der Station, der Großteil davon war auf die Hangarbereiche gerichtet.
»Ser Larsen?«
Da war es wieder, jenes ungute Gefühl in der Magengegend, das immer dann auftrat, wenn diese eine Stimme seinen Namen aussprach. Immerhin aber war sein Kollege höflich, vermutlich wegen seiner Glanznummer in der vergangenen Nacht.
»Was gibt es denn?«
»Sie wissen schon, dass wir recht hohen Besuch an Bord haben?«
Hoher Besuch? Sicherlich spielte der liebreizende Kollege damit auf die beiden Senatoren an, die allerdings nur auf der Durchreise waren und auch nur so lange auf der Station verweilen würden, bis man ihren stark modifizierten Transporter wieder aufgetankt hatte.
»Und? Was ist daran so besonders? Sind auch nur zwei Menschen mit großer Geldbörse, mehr nicht.«
»Mag sein, aber Sie sollten mal einen Blick auf das Datenpad werfen, das direkt vor Ihrer Nase liegt.«
Larsen griff nach dem Gerät.
»Hat das etwas mit deinem netten Besuch in meinem Quartier letzte Nacht zu tun?«
»Allerdings. Eine Kopie davon ist schon auf dem Schreibtisch der Stationssicherheit gelandet.«
Der junge Offizier stellte seinen Kaffee auf den Tisch, dann rückte er mitsamt seinem Stuhl näher an seinen Vorgesetzten heran. »Wer auch immer hier Daten gezogen hat, er wollte unsere Dienstpläne haben.«
»Das sagten Sie bereits.«
»Die Frage lautet jetzt: wozu benötigt man die genaue Uhrzeit der Starts unserer Milizstreifen draußen, wenn man nicht...«
Ser Larsen sah eher zufällig kurz nach draußen und unterbrach die kleine Rede seines Kollegen.
»Das darf doch nicht wahr sein, schon wieder einer.«
Ein kleiner Frachter, Typ Gea Transit, trieb offensichtlich steuerlos vor dem Haupthangartor herum – genau wie schon am Vortag.
Ser Larsen suchte kurz nach der Schiffskennung, er räusperte sich kurz und versuchte freundlich zu bleiben. »Anflugkontrolle Station Tersa an Frachter DE-89 Maine...«
Ser Larsen hielt inne. Die Maine? Das Schiff konnte gar nicht draußen sein, es stand noch immer im Hangar und die Wartungscrews plagten sich noch immer mit den defekten Triebwerken ab. Diese andere Maine dort draußen jedoch gab kurz etwas Schub…

*

Die Luft war angenehm warm, dazu erklang noch leise Musik aus einer Ecke.
Und draußen war alles voller Sterne, ein riesiger Kugelsternhaufen zog jede Aufmerksamkeit auf sich. Viele hätten ihre Augen regelrecht geweidet an der puren und unverfälschten Schönheit dieser unzähligen winzigen Lichtpunkte, die in ihrer Helligkeit miteinander zu konkurrieren schienen.
Der Klang der sich öffnenden Tür unterbrach das harmonische Bild erbarmungslos, aber der Besucher schien bereits erwartet zu werden.
»Ser?«
»Ich höre?«
Ohne den Blick von den Sternen auf der anderen Seite des Sicherheitsglases zu lassen, stand der Gastgeber einfach nur still vor seinem Quartierfenster.
»Wir hatten keinen Erfolg. Unsere Leute haben versucht, alles an Material zu sichten, was Ihren ehemaligen Freund und Arbeitgeber betrifft, aber wir laufen dabei unweigerlich ins Leere. Falls es eine Kopie der Daten gibt, die wir suchen, dann hat er sie anderweitig versteckt.«
»Wissen Sie, was mich an Ihren Meldungen so sehr stört?«
Etwas verunsichert gab man Antwort.
»Ähm... Nein, Ser?«
Der Gastgeber drehte seinen Kopf kurz etwas zur Seite, nicht genug um seinen Gast wirklich sehen zu können – aber weit genug um eines klarzustellen: Ich weiß sehr gut, wo du stehst...
»Alles wirkt immer so endgültig. Dabei sagte ich bereits mehrfach, dass wir noch lange nicht alle Möglichkeiten tatsächlich ausgeschöpft haben. Es wird Zeit, dass ich persönlich wieder in Aktion trete.«
»Ist das klug? Vergessen Sie bitte nicht, was beim letzten Mal...«
Sofort wurde der Mann unterbrochen.
»Das letzte Mal hatte Sie einfach nur Glück. Und ein paar Freunde. Letzteres wird Sie dieses Mal verlieren. Danach ist alles nur eine Frage des Preises – denn jeder ist letzten Endes käuflich.«
Mit einer schnellen Handbewegung machte der Gastgeber seinen Besuch unmissverständlich klar, dass er besser verschwinden sollte, nach Möglichkeit ohne jeglichen weiteren Kommentar.
Erst als er die Tür hörte, die sich hinter seinem Besucher wieder schloss und er wieder allein in seinen Quartier war, drehte sich der Mann vom Fenster weg, dabei warf er einen ausgiebigen Blick durch seinen kleinen Raum. In den letzten fünf Monaten war er fast ausschließlich auf diese wenige Quadratmeter beschränkt gewesen, er musste ständig aufpassen, wo sein umgebauter Transporter einen Zwischenstopp einlegte.
Und doch – vieles hatte er in Erfahrung bringen können. Nur sein eigentliches Ziel war noch weit entfernt. Solange er keinen Zugriff auf diese Daten hatte...
Mit langsamen Schritten ging er auf seinen Schreibtisch zu, dort aktivierte er eine Gegensprechanlage.
»Brücke?« Dumpf erklang die Antwort aus dem Lautsprecher.
»Brücke hier. Ihre Befehle?«
»Tess? Wir nehmen Kurs auf Hermes.«
»Ja Ser.«
Der Mann sah auf das Chaos, das seinen Schreibtisch regelrecht zierte. Etliche Datenpads lagen dort herum, einige zeigten Sternenkarten und Reiserouten auf den großen Displays, andere diverse Schiffstypen und Händleradressen.
Und mittendrin lag ein Datenpad, das etwas ganz anderes anzeigte – oder besser gesagt: Jemanden anderes. Eine junge Frau, vielleicht Anfang Zwanzig. Sie wirkte klein und zierlich, jemand schien das Bild ohne ihr Wissen gemacht zu haben, es zeigte sie beim Verlassen Ihrer Maschine.
Ein kleiner, blutroter Schriftzug auf der Bordwand des Jägers verriet das offizielle Rufzeichen: Dark Spirit.

*

Fast schien es so, als würde der Jäger diesen Ort genauso wenig mögen wie die Pilotin – nur langsam öffnete sich das Cockpit und nur widerwillig legte die Dame hinter dem Steuerknüppel die Gurte ab.
Immerhin schien man die Luftfilter verbessert zu haben, wirklich abgestanden wirkte die Luft hier nicht, nur etwas zu kalt.
»Willkommen auf Petra. Wenn Sie bitte Ihre Landung bestätigen würden?«
Sera Manley blickte kurz in das Gesicht der Technikerin, die ihr unvermittelt einen kleinen Handscanner unter die Nase hielt und auf Manleys Handabdruck wartete. Diese Dame dort auf der Leiter hatte einen eigenartigen Haarschnitt, vorne sah es aus wie eine Art Igelschnitt, hinten aber war es ellenlang und wurde mit einer Spange zusammengehalten. Und dann noch diese Farben. Blaue und rote Strähnchen vorne, hinten komplett blond.
Seltsame Mischung, aber wer es eben mag...
Manley legte ihre Hand kurz auf den Scanner, dann kletterte sie flugs aus dem Cockpit ihrer guten alten Aurora.
»Sagen Sie bitte, wo kann ich Ser Warrington finden?«
Statt einer Antwort kam nur eine einfache Geste der Technikerin, ein kurzes Kopfnicken in eine bestimmte Richtung. Und richtig, dort standen einige Leute in Uniform und man schien sich recht angeregt zu unterhalten.
Was hatte Hassan doch gleich über ihren Kontaktmann auf Petra gesagt?
»...dann wird es nämlich dunkel im Raum...«
Nun, diese Umschreibung traf hier ehrlich gesagt gleich auf zwei Herren in der illustren Runde zu, Manley nahm beide kurz in Augenschein, dann entschied sie sich für denjenigen, der offensichtlich mehr Pfunde auf seinen Hüften verteilt hatte.
»Ser Warrington?«
Der fleischgewordene Alptraum eines jeden Schneiders drehte sich langsam um.
»Wer will das wissen?«
Manley griff in die Innentasche ihrer Pilotenjacke.
»Sera Dana Manley, CIS, Hades. Ser Hassan müsste Sie bereits informiert haben.«
Der Mann warf einen flüchtigen Blick auf den Dienstausweis der Agentin.
»Ah, Sie sind das also. Ja, wir haben bereits ein Büro für das Verhör vorbereitet.«
Manley glaubte sich verhört zu haben. Verhör? Während des Fluges hierher hatte sie das Dossier gelesen, es ging hier um ein Kind als Augenzeugen und da war ein Gespräch in einem grauen und völlig kahlen Büro eindeutig der falsche Weg.
»Hören Sie, warum bringen Sie den Jungen nicht einfach hierher? Also direkt zum Raumhafen.«
Ser Warrington sah Manley an, seine Augen kniff er dabei zusammen, so als würde er in einen hellen Scheinwerfer sehen.
»Hierher? Und zu welchen Zweck? Hier haben wir keine Aufzeichnungsgeräte, keinen Lügendetektor...«
Die Agentin hatte genug gehört und winkte verächtlich ab.
»Es ist ein Kind, Ser Warrington. Und kein Schwerverbrecher. Alles was wir wollen, ist eine kleine Aussage. Nur ein kleiner Tipp vom Jungen bezüglich des Gerätes. Einverstanden?«
Ser Warrington schien kurz zu überlegen.
»Nun gut, Sie haben ja die Leitung der ganzen Show hier. Also gelten wohl auch Ihre Spielregeln.«
Er winkte einen seiner Kollegen herbei, dann gab er den Befehl, das Kind bringen zu lassen.
Aber in was für einen Ton!
Manley glaubte sich erinnern zu können, dass sie auf der Akademie einmal einen Professor für Datenverarbeitung erleben durfte, der ähnlich barsch und kühl seine Kommandos an die Damen und Herren Studenten verteilt hatte. Ob es da wohl eine Verwandtschaft gab?
Die Agentin verwarf den Gedanken schnell wieder, auch wenn die Grübeleien mit Sicherheit für etwas positive Stimmung – sprich ein erfrischendes Lächeln – gesorgt hätten.
Sie nahm dafür ihren Kontaktmann etwas genauer in Augenschein. Warrington war riesig, mit Sicherheit über zwei Meter groß und brachte garantiert zweihundertundfünfzig Pfund auf die Waage. Trotzdem wirkte nicht unbeholfen oder gar träge. Nein, dieser Mann war sogar recht durchtrainiert und man konnte nur wage die schiere Kraft erahnen, die allein in seinen Oberarmen steckte. »Dann erzählen Sie mal, wie ist denn die Stimmung derzeit auf Hades?«
Warringtons Versuch einer kleinen Konversation wirkte irgendwie recht unbeholfen, Manley jedoch sah einfach darüber hinweg.
»Wie man es nimmt, diejenigen in der Führungsetage fühlen sich natürlich nicht sonderlich wohl – Sie wissen ja sicherlich von der Sache mit Angus Santana.«
Warrington nickte verständnisvoll.
»Ja, da lob ich mir diesen kleinen, friedlichen Posten hier. Und Sie? Macht Ihnen das ewige Reisen Spaß?«
Seltsame Frage. Obwohl – in der Vergangenheit war sie vielleicht mehr im Tri-System unterwegs gewesen als beispielsweise so mancher Frachterpilot, der einfach nur zwischen zwei Systemen hin- und herpendelte. Sie zog nur unschlüssig die Schulter hoch.
»Hat seine guten und auch schlechten Seiten.«
Warrington versuchte sich in einen Lächeln, dann zeigte er nach oben.
»Da draußen – schlechte Seite und hier drinnen – gute Seite.«
Seine Hand zeigte jetzt auf den Boden des Hangars, Manley sah fragend in Warringtons Gesicht.
»Das heißt also, das Sie den Dienst beim Bodenpersonal lieben, oder?«
Warrington nickte, er zog ein wenig seine Hose nach oben.
»Bei meinen Ausmaßen wird es in jedem Jäger immer fürchterlich eng...«
»Ser Warrington?«
Der Ermittler drehte sich in die Richtung, aus der die Stimme kam. Sein Kollege kam zurück in den Hangar, links neben ihm stiefelte ein kleiner Junge einher, der sichtlich Mühe hatte, den recht großen Schritten seiner Begleitung folgen zu können. Auf der rechten Seite erkannte Manley eine junge Frau in Zivil, mit Sicherheit die Mutter des Jungen. Ihr Gesicht zeigte deutliche Spuren von einer schlaflosen Nacht, auch wenn sie versucht hatte, die Zeichen mittels Make-up verschwinden zu lassen.
»Sera Ryan?«
Manley wollte nach Möglichkeit das Gespräch ohne Ser Warringtons Einmischung beginnen, bei seiner Art mit Menschen umzugehen würde die Agentin erhebliche Probleme bekommen, das Vertrauen von Mutter und Kind zu gewinnen.
Die Frau nickte, zögernd reichte sie Manley die Hand zur Begrüßung. »Sera Dana Manley, CIS, Hades.«
Sie holte ihre ID-Card hervor und gab diese Sera Ryan in die Hand. »Und du musst dann Eugene sein.«
Der Junge nickte lebhaft, Manley überlegte, wie sie am besten mit dem Kind ins Gespräch kommen würde – sie selbst hatte ja keine Kinder und in ihrer Ausbildung war das Thema „Psychologie und Kinder“ nur kurz behandelt worden, besser gesagt hatte sie bei diesen Thema friedlich in der Vorlesung geschlafen. Beim Umgang mit Schusswaffen allerdings war sie dann wieder hellwach gewesen.
Also versuchte sie den direkten Weg. »Eugene? Magst du mir helfen?«
Manley kniete sich vor den Jungen hin, so dass sie mit ihm auf gleicher Augenhöhe war.
»Helfen? Und wobei?«
»Man hat mir erzählt, dass du einen kleinen Gegenstand gefunden hast. Und dieser Gegenstand ist gefährlich, aber das weißt du ja inzwischen. Wir wollen nicht, dass ein anderes Kind einen solchen Gegenstand findet.«
Eugene unterbrach den Redefluss der Agentin.
»Dann brauchen Sie aber eine Taschenlampe.«
Er griff in seine Hosentasche und holte eine kleine Handlampe heraus. Dann sah er Manley an. Die machte es dem Jungen einfach nach, ein kleiner Griff in ihre Jackeninnentasche genügte.
»Okay, Taschenlampe habe ich dabei. Und jetzt?«
»Jetzt müssen Sie mir sagen, ob Sie sich ganz, ganz klein machen können.«
Klein? Manley ahnte was Eugene damit meinte, vermutlich hatte sich das Kind durch einen Felsspalt oder einen Schacht gezwängt.
»Ich werde versuchen, es genauso zu machen, wie du es mir vormachst. Also, darf ich mitkommen?«
Eugene sah die Agentin einmal von oben nach unten an, dann warf er einen kurzen Blick auf seine Mutter, die kurz mit den Kopf nickte.
»Also dann, mir nach.«
 
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